Gohar der Bettler
gestand El Kordi.
Der Aufmerksamkeit dieser alten Puffmutter entging also nichts; sie hatte Nour El Dine von der ersten Minute an durchschaut. El Kordi schämte sich seines mangelnden Scharfsinns. Was für eine kümmerliche Figur er bei dieser billigen Verführungsszene abgegeben haben mußte! Die Art und Weise, in der er sich an der Nase hatte herumführen lassen, war unverzeihlich. Und das ihm, der glaubte, sich über die Staatsgewalt lustig zu machen!
»Da du offenbar so gut mit ihm stehst, versuch doch, ihn zu besänftigen. Sag ihm, er soll mir keine Scherereien machen.«
»Was redest du denn da, Weib? Ich stehe überhaupt nicht gut mit ihm. Ganz im Gegenteil, ich halte noch ein paar unangenehme Überraschungen für ihn bereit. Was denkst du eigentlich, wer ich bin? Jedenfalls nicht der willfährige Jüngling, für den du mich hältst.«
»Tu das nicht, mein Sohn! Du willst mich ruinieren. Schau dich doch im Haus um, wie traurig es hier ist! Und die Mädchen schlafen auch nur noch die ganze Zeit. Sie nehmen schlechte Gewohnheiten an. Wie bringe ich sie nur wieder dazu, Geschmack an ihrer Arbeit zu finden?«
»Ich werde dir dabei behilflich sein«, bot sich El Kordi an. »Nichts würde mir mehr Freude bereiten.«
Er stand auf.
»Und jetzt muß ich dich verlassen. Gehab dich wohl. Ist Naila in ihrem Zimmer?«
»Ja, wo sollte sie denn sonst sein? Ich sagte doch, daß die Mädchen die ganze Zeit schlafen. Ihnen ist anscheinend nicht bewußt, welcher Schicksalsschlag uns getroffen hat. Ich bin hier die einzige, die sich Sorgen macht. Und wenn du gehst, paß bitte auf, daß man dich nicht bemerkt; offenbar schleicht ein Polizist in Zivil vor dem Haus herum.«
»Du kannst ganz beruhigt sein. Ich paß schon auf«, versprach El Kordi.
Naflas Zimmer ähnelte den Zimmern aller anderen Mädchen, die hier als Prostituierte arbeiteten, aber jedesmal, wenn El Kordi über die Schwelle trat, überkam ihn ein Unbehagen, eine Art abergläubische Furcht. Dieses unangenehme Gefühl ging größtenteils auf den Geruch der Medikamente zurück, der die muffige Atmosphäre des Zimmers erfüllte. Diese Medikamente, die im Spiegelschrank versteckt waren, um die Kunden nicht zu verschrecken, gingen ihm nicht aus dem Kopf Nur sie führten ihm die Krankheit seiner Geliebten vor Augen; sie bildeten den einzigen sichtbaren Hinweis auf ein Leiden, dessen eigentliches Ausmaß sein Verständnis überschritt.
Da El Kordi selbst noch niemals krank gewesen war, neigte er dazu, das Leiden der anderen entsprechend den äußerlich erkennbaren Merkmalen der Krankheit zu beurteilen. Da keine sichtbare Verletzung auf die Tuberkulose hindeutete, an der Naila litt, empfand er lediglich ein von Skepsis durchsetztes Mitleid für sie. Im Grunde brachte ihn dieser Medikamentengeruch in eine mißliche Lage: er erinnerte ihn plötzlich wieder daran, daß er sich in einem Krankenzimmer befand. Das war sehr unangenehm. Sinnliche Gelüste hatten ihn hierhergeführt, er wollte mit ihr schlafen und nicht sein Mitleid bekunden.
Als er die junge Frau ausgestreckt auf ihrem Bett ruhen sah, zog es ihm trotzdem das Herz zusammen, und er wurde von einem starken Gefühl der Zärtlichkeit überwältigt. Sie lag mit geschlossenen Augen da und rang nach Luft. Auf ihrem blassen Gesicht zeichnete sich eine außergewöhnliche Traurigkeit ab. In seiner Rührung hatte El Kordi Schwierigkeiten, sie überhaupt wiederzuerkennen; einen Augenblick lang vergaß er seine sinnliche Begierde und dachte nur noch daran, wie er dieses Wesen, das ein blindes Schicksal auf die Straße verbannt hatte, vor einem elenden Tod bewahren konnte.
Er trat an das Bett heran.
»Liebling!«
Naila schlug die Augen auf und blickte ihn bestürzt an.
»Du bist es!«
»Ja, mein Liebling. Wie geht es dir?«
»Was geht das dich an? Seit wann sorgst du dich um meine Gesundheit?«
Sie ging schon wieder in die Offensive; wie immer wollte sie ihre Einsamkeit laut herausschreien, ihm zeigen, daß er nichts für sie zu tun vermochte.
»Ich konnte nicht früher kommen. Du machst dir überhaupt keine Vorstellung: das Haus ist von der Polizei umstellt.«
»Auf einmal fürchtest du dich jetzt also vor der Polizei? Ich dachte, für mich würdest du durchs Feuer gehen.«
»So ist es auch, Liebling. Aber es war nicht nur wegen der Polizei. Die Wahrheit ist, daß ich mich um eine ganze Menge Dinge gekümmert habe. Ich muß dich hier so schnell wie möglich herausholen. Ich habe beschlossen, daß du unmöglich
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