Gold in den roten Bergen
können, aber es war eine schwere Geburt gewesen; die junge Mutter schwebte tagelang zwischen Leben und Tod – wer denkt da an die Korrektur eines Schreibfehlers? Und später dann … ja, da ließ der Vater das Saul eben stehen, aus Bequemlichkeit, wie er beichtete, denn schließlich sei Saul ja eine bekannte Gestalt aus der Bibel. Saulus, der zum Apostel Paulus wurde, der wichtigste Apostel überhaupt. Einen Sohn mit diesem Namen zu haben, das war schon eine Verpflichtung, auch wenn's sich zufällig so ergeben hatte.
Seit diesem Geständnis seines sterbenden Vaters haßte Eberhardt seinen Vornamen noch mehr. Immer, wenn er eine Predigt über einen Brief des Paulus halten mußte, sträubten sich ihm symbolisch die Nackenhaare, und als er mit 63 Jahren eine Glatze bekam, juckte und zuckte ihm die Kopfhaut. Ein paarmal hatte er Anlauf genommen, den Fehler zu berichtigen und aus Saul wirklich einen Paul zu machen, aber was damals dem Christenverfolger Saulus gelungen war, mißlang Eberhardt kläglich.
Seine Gemeinde wehrte sich dagegen, protestierte, wenn er seine Rundbriefe mit Paul unterschrieb, und erkannte Tauf-, Hochzeits- oder andere Dokumente nicht an, wenn sie mit Paul Eberhardt unterzeichnet waren. Was letztlich bewies, wie sehr die Gemeinde mit ihrem Prediger verbunden war. Trotzdem – der Stachel wegen des verhaßten Namens blieb.
Saul Eberhardt war deshalb sofort von dem unbekannten Besucher begeistert, den seine Enkelin Bette, die ihm den Haushalt führte, nachdem er drei Ehefrauen überlebt hatte, in sein Studierzimmer brachte. Der höfliche, sichtbar gut angezogene Mann sagte nämlich: »Ich freue mich, daß Sie mich empfangen, Herr Paul Eberhardt. Ich habe schon viel von Ihnen gehört und wollte Sie um Rat fragen. Mein Name ist Wolfgang Herbarth.« Ein sympathischer Bursche, stellte Eberhardt fest. Nicht, weil er deutsch spricht; wir haben schließlich einige Hunderttausend deutschstämmige oder deutsche Einwohner in Australien. Nein, er nennt mich Paul und radiert damit rein gefühlsmäßig den Irrtum aus Riesa in Sachsen aus.
Saul Eberhardt nickte und deutete auf einen alten Ledersessel. »Setzen Sie sich, Herr Herbarth. Bette, mach uns einen guten Kaffee … Oder möchten Sie lieber ein Glas Wein? Oder einen eisgekühlten Fruchtsaft …«
»Etwas, das keinerlei Mühe macht, Herr Pfarrer.«
Eberhardt überhörte das letzte Wort. Man kann nicht verlangen, daß jemand auch selbst bei bester Erziehung über die Strukturen der Baptisten Bescheid weiß. Der Chef einer christlichen Gemeinde, der Leiter einer Kirche, einer, der predigt, ist eben für die Allgemeinheit ein Pfarrer.
»Mühe macht gar nichts, Herr Herbarth«, sagte Saul Eberhardt weihevoll. Seine pastorale Stimme hatte trotz seines Alters noch nicht ihren sonoren Klang verloren. »Das ganze Leben ist ein Mühen, aber da es eine Gnade Gottes ist, empfinden wir es nicht als mühevoll. Bette, bring Kaffee und Kognak herein.«
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, betrachtete Wolf mit Wohlwollen und war gespannt, welchen Rat er geben sollte.
»Wieso kommen Sie gerade zu mir?« fragte Saul und strich mit der rechten Hand über seine glänzende, kahle Kopfhaut.
»Wer kennt Sie nicht?« Wolf traf genau in Sauls Eitelkeit.
»Wenn du einen hundertprozentigen Rat haben willst, hat man mir gesagt, dann geh zu Paul Eberhardt. Nur der kann dir helfen. Und so bin ich voller Hoffnungen zu Ihnen gekommen.«
»Man hat zu Ihnen gesagt: Geh zu Paul Eberhardt!?«
»Ja.«
»Paul Eberhardt?«
»Ja. Stimmt hier etwas nicht? Sind Sie nicht Herr Eberhardt? Ist das nicht das Haus der Baptisten? Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung.«
Wolf wollte aus dem Ledersessel aufspringen, aber Saul winkte mit beiden Händen ab.
»Sie sind hier völlig richtig. Es ist kein Irrtum …«, sagte er mit mühsam unterdrückter Begeisterung.
Da haben wir's, dachte er. Alle außer meinen Gemeindemitgliedern nennen mich Paul. Das ist der Urinstinkt für das Richtige. Da muß man nun 83 Jahre alt werden, um noch solch eine Freude zu erleben. Morgen muß mich Bette in die Innenstadt fahren, und dann gehe ich durch die Todd Street, die Gregory Terrace, die Hartley Street und die Parsons Street und werde mir anhören, wie sie sagen: »Ah, da ist ja Paul Eberhardt! Hallo, Mister Eberhardt, wie geht es Ihnen? Lange nicht gesehen …« Das läßt mich zehn Jahre länger leben.
»Womit kann ich Ihnen raten, Mr. Herbarth?« fragte Saul mit gütiger Stimme.
»Ich habe
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