Gold. Pirate Latitudes
um mit der gesamten Ladung das Weite zu suchen?«
»Jawohl.«
»Dann bin ich überaus erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Engländer. Kennt Ihr Euren Wert? Nein? Nun, er ist mit jedem weiteren Jahr gestiegen und vielleicht ist er erneut erhöht worden. Nach dem, was ich zuletzt gehört habe, bietet König Philipp jedem, dem es gelingt, Eurer habhaft zu werden, zweihundert Golddublonen für Euch und noch mal achthundert für Eure Besatzung. Vielleicht ist die Summe inzwischen auch höher. Die Erlasse ändern sich, so viele Einzelheiten. Früher haben wir Piraten nach Sevilla geschickt, wo die Inquisition sie ermuntern konnte, ihre Sünden und Ketzereien in einem Atemzug zu bereuen. Aber das ist so lästig. Heute schicken wir nur die Köpfe und halten unseren Laderaum für einträglichere Waren frei.«
Hunter sagte nichts.
»Vielleicht denkt Ihr jetzt«, fuhr Cazalla fort, »zweihundert Dublonen sind eine zu bescheidene Summe. Wie Ihr Euch gewiss vorstellen könnt, bin ich just in diesem Augenblick ganz Eurer Meinung. Aber immerhin genießt Ihr die Ehre zu wissen, dass Ihr der am höchsten geschätzte Pirat in diesen Gewässern seid. Erfreut Euch das?«
»Ich fasse es so auf«, sagte Hunter, »wie es gemeint war.«
Cazalla schmunzelte. »Wie ich sehe, seid Ihr ein geborener Gentleman«, sagte er. »Und ich darf Euch versichern, dass Ihr mit der gebührenden Würde eines Gentleman gehängt werdet. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
Hunter verneigte sich leicht in seinem Sessel. Er sah, wie Cazalla über den Schreibtisch hinweg nach einer kleinen Glasschüssel mit Deckel griff. In der Schüssel lagen breite grüne Blätter. Cazalla nahm eines der Blätter heraus und kaute nachdenklich darauf.
»Ihr scheint verwirrt, Engländer. Ist Euch diese Gepflogenheit fremd? Die Indianer in Neuspanien nannten dieses Blatt Koka. Es wächst dort im Hochland. Es verleiht dem, der es kaut, Tatkraft und Stärke. Bei Frauen schürt es das Feuer«, fügte er leise lachend hinzu. »Möchtet Ihr es einmal probieren? Nein? Es widerstrebt Euch, meine Gastlichkeit anzunehmen, Engländer.«
Er kaute einen Augenblick schweigend, während er Hunter anblickte. Schließlich sagte er: »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«
»Nein.«
»Euer Gesicht kommt mir seltsam bekannt vor. Vielleicht früher, als Ihr jünger wart?«
Hunter spürte sein Herz pochen. »Ich glaube nicht.«
»Ihr habt gewiss recht«, sagte Cazalla. Er warf einen nachdenklichen Blick auf das Gemälde an der Wand. »Für mich sehen alle Engländer gleich aus. Ich kann sie einfach nicht unterscheiden.« Er sah wieder Hunter an. »Und dennoch habt Ihr mich erkannt. Wie ist das möglich?«
»Euer Gesicht und Eure Gestalt sind in den englischen Kolonien wohlbekannt.«
Cazalla kaute ein Stück Limone mit seinen Blättern. Er lächelte, lachte dann leise. »Ohne Zweifel«, sagte er. »Ohne Zweifel.«
Plötzlich fuhr er in seinem Sessel herum und schlug klatschend mit der Hand auf den Tisch. »Genug: Wir haben über Wichtigeres zu sprechen. Wie lautet der Name Eures Schiffes?«
»Cassandra« ,erwiderte Hunter.
»Und wer ist der Eigner?«
»Ich selbst bin Eigner und Kapitän.«
»Und wo seid Ihr in See gestochen?«
»Port Royal.«
»Und was ist der Grund Eurer Reise?«
Hunter zögerte. Wenn ihm ein glaubhafter Grund eingefallen wäre, hätte er ihn unverzüglich genannt. Aber es war nicht leicht zu erklären, was sein Schiff in diese Gewässer geführt hatte. Schließlich sagte er: »Uns wurde mitgeteilt, ein Sklavenschiff aus Guinea wäre in diesen Breiten zu finden.«
Cazalla machte ein schnalzendes Geräusch und schüttelte den Kopf. »Engländer, Engländer.«
Hunter tat so gut er konnte, als würde es ihn große Überwindung kosten, und sagte dann: »Wir waren auf dem Weg nach Augustine.« Das war die größte Siedlung in der spanischen Kolonie Florida. Sie hatte keine besonderen Reichtümer zu bieten, aber es war immerhin denkbar, dass englische Freibeuter es angreifen wollten.
»Ihr habt einen merkwürdigen Kurs gewählt. Und einen langsamen.« Cazalla trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wieso seid Ihr nicht nach Westen um Kuba herum gesegelt, in die Bahamas-Passage?«
Hunter zuckte die Achseln. »Wir hatten Grund zu befürchten, dass wir in der Passage auf spanische Kriegsschiffe treffen würden.«
»Und hier nicht?«
»Die Gefahr war hier geringer.«
Cazalla dachte eine Weile darüber nach. Er kaute geräuschvoll und nippte an
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