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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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fest im Blick behielt. Die Augen der Muhme waren geschlossen, der Atem ging gleichmäßig. So leise wie möglich schlüpfte Agnes aus dem Bett und schlich auf bloßen Füßen zur Tür. Die Dielen strahlten noch die Wärme des Tages aus. Sie presste das rechte Ohr gegen das Türblatt. Die Geräusche im Erdgeschoss wurden deutlicher. Bald war sie sicher: Laurenz packte dort unten seine Sachen!
    Mit angehaltenem Atem öffnete sie die Tür und schob sich auf den Flur. Sie eilte zur Treppe und flog über die Stufen nahezu lautlos nach unten. Auf der letzten Treppenstufe blieb sie stehen. In der Diele schien das erste Licht des neuen Tages durch das Fenster zur Straße herein. Am Tisch in der Mitte der Diele stand Laurenz. Außer Rock und bunten Strumpfhosen trug er bereits das Barett auf dem welligen braunen Haar, hatte zudem die langen braunen Schnabelschuhe an den Füßen. Der schwarze Bart war ordentlich gekämmt. In hastigen Bewegungen packte er den Brotbeutel. Das Felleisen aus Schweinsleder lag bereits fertig geschnürt bereit. Ganz versunken in seine Handgriffe, bemerkte er sie nicht.
    »Laurenz!«, stieß sie heiser aus und stürzte sich ihm entgegen. Überrascht hob er den Kopf. Ein Laib Brot in der einen, ein Stück Käse in der anderen Hand, hielt er inne. In seinem blauen und dem grünen Auge blitzte etwas Fremdes auf. »Agnes, habe ich dich geweckt?«, fragte er, um im nächsten Moment den Blick zu senken und sich erneut dem Proviant zu widmen. »Die Zeit ist knapp. Bald öffnen die Tore. Meister Friedrich und ich wollen die Ersten sein, die durch das Mühlentor nach draußen gelangen. Ein langer Weg liegt vor uns.«
    Sie kämpfte mit den Tränen. Mühsam schluckte sie, räusperte sich, setzte mehrmals zu sprechen an. »Aber … Du kannst dich doch nicht einfach so davonschleichen!«, brachte sie schließlich heiser heraus. »Willst du mich wirklich so hier zurücklassen?«
    Laurenz hielt inne, legte das Brot auf den Tisch. Seine rechte Hand zitterte. Sanft legte sie ihre kleine Hand darauf. Laurenz’ Haut fühlte sich eisig an. Verlegen zog er die Hand zurück und murmelte: »Verzeih, Liebelein, aber ich muss meine Angelegenheiten auf der Marienburg in Ordnung bringen. Man erwartet mich dort ungeduldig. Hier bei meiner Muhme hast du nichts zu befürchten.«
    Mit einer Kordel zurrte er den Beutel zu. Suchend glitt sein Blick durch die Diele, streifte einen Atemzug lang ihr Gesicht. Im dämmrigen Licht blitzte das Weiß seiner Augäpfel auf. Für einen Moment wagte Agnes zu hoffen und versuchte, seinen Blick zu halten. Vergebens. Laurenz schulterte das Gepäck und eilte dicht an ihr vorbei zur Tür.
    Fassungslos sah sie ihm nach. Die Hand auf der Klinke, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Sein Gesicht lag im Schatten. Kaum konnte sie mehr als nur die groben Umrisse erahnen, sich den kecken Schwung seiner nach oben gebogenen Nasenspitze und die fein gezogenen Linien um Mund und Kinnpartie in Erinnerung rufen.
    »Es fällt mir unendlich schwer, Liebelein, dich zurückzulassen. Aber mir bleibt keine Wahl. Agatha wird gut auf dich aufpassen.«
    Noch ehe sie etwas erwidern konnte, schob er sich zur Tür hinaus.
    Später wusste sie nicht mehr, wie sie zur Türschwelle gelangt war. Als sie eine warme Hand auf der Schulter spürte, fand sie sich zusammengesunken auf dem kalten Steinboden vor dem Eingang wieder.
    »Steh auf, Liebes! Sonst holst du dir noch den Tod.« Energisch griff Agatha ihr unter die Arme und half ihr, sich aufzurichten. Umsichtig legte sie ihr eine Wolldecke um und drückte sie sanft gegen die eigene Brust. Erst da wurde Agnes des heftigen Zitterns gewahr, das ihren Leib erfasst hatte. Es tat unendlich gut, sich in Agathas schützenden Armen zu wissen.
    »Nicht weinen! Er kommt zurück, ganz sicher. Ich kenne meinen Laurenz. Auf ihn ist Verlass.« Sie tupfte ihr die tränennassen Wangen mit dem Zipfel der Schürze trocken, strich ihr die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie zufällig streiften ihre Finger dabei das Tuch um ihren Hals. Sofort hielt Agnes es fest und trat beiseite.
    »Damit verdeckst du ein Mal in deinem Nacken, nicht wahr?«
    »Woher wisst Ihr …?«
    »Keine Angst. Ich verrate niemandem davon. Ich weiß selbst nur zu gut, was es heißt, eines solchen Zeichens wegen schief angesehen zu werden.« Lächelnd tippte die Muhme an den braunen Fleck auf ihrer linken Stirnseite, dann zwinkerte sie mit ihrem grünen Auge verschwörerisch. »Schon als du mir gestern Abend

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