Gold und Stein
den Erlebnissen auf Eurer Reise zusammen«, stellte die Muhme fest und reichte Gunda einen Becher Bier. »Ihr müsst Furchtbares erlitten haben, das für den Rest Eures Lebens mit dem Geruch von Leder verbunden bleibt.«
»So kann man es nennen«, erwiderte Gunda leise.
»Verzeiht!«, murmelte Caspar.
»Du konntest es nicht wissen.« Nach einigen Schluck Bier ging es Gunda wieder besser. Sie lächelte scheu, verschränkte abermals die Finger auf der Tischplatte ineinander, holte tief Luft und fuhr in einem seltsam unbeteiligten Ton mit ihrer Erzählung fort: »Bis kurz vor unserem Ziel verlief unsere Reise friedlich. Kaum einen Tag vor Königsberg aber wurden wir überfallen. Ein halbes Dutzend äußerst gewalttätiger Räuber lauerte uns auf, tötete erst die Männer und wandte sich dann uns Frauen zu.«
Sie schluckte, presste die Lippen zusammen. An ihrem gequälten Gesichtsausdruck war abzulesen, dass sie das Gemetzel in der Erinnerung noch einmal durchlebte. Um den Tisch herum breitete sich beklemmende Stille aus. Plötzlich knarrte eine Tür. Erschrocken fuhren sie herum. Die beiden Mägde kamen zur Hoftür herein. Sobald sie bemerkten, dass etwas sehr Bewegendes im Gange war, schlichen sie auf Zehenspitzen zur Treppe und verschwanden ins Obergeschoss. Kurze Zeit später hörte man oben eine Tür ins Schloss fallen. Zufrieden nickte die Muhme. Die beiden widerstanden sogar der Versuchung, am oberen Treppenabsatz verborgen dem Gespräch zu lauschen.
»Ich erspare euch die Einzelheiten«, erklärte Gunda unerwartet fest. »Es war entsetzlich. Ihr habt recht, liebe Agatha: Seither kann ich den Geruch von Leder nicht mehr ertragen. Meine Mutter und ich überlebten das sinnlose Abschlachten und Schänden als Einzige. Ein Fischer und seine Frau fanden uns und beherbergten uns in ihrer Hütte, bis es uns etwas besserging. Im Schutz einer neuen Gruppe Kaufleute gelangten wir schließlich mit großer Verspätung nach Königsberg. Dort hofften wir, bei meinem Verlobten und seiner Familie Unterschlupf zu erhalten. Welch schlimme Überraschung aber erwartete uns dort! Die Kunde vom blutigen Überfall war uns längst vorausgeeilt. Die Fischarts hielten uns für tot und hatten nichts Eiligeres zu tun, als Gernot in Windeseile mit einer Londoner Kaufmannstochter zu verloben. Ihr könnt euch denken, um wen es sich gehandelt hat: um Editha.«
Ihre Miene verschloss sich. Langsam trank sie einen weiteren Schluck Bier. Die Streicherin nickte ihr zu, Laurenz räusperte sich, was ebenfalls wie eine Aufmunterung klang. Nur Caspar saß stumm da. Agnes ahnte, wie schwer es ihm fiel, Gundas Geschichte zu ertragen. Behutsam griff sie nach seiner Hand, drückte sie. Er warf ihr einen dankbaren Blick zu.
»Vor langem schon war die Ehe zwischen Editha und Gernot von deren Vätern beschlossen worden«, fuhr Gunda fort. »Das geschah wohl, während Gernot bei uns in Dortmund weilte und bei meinem Vater um mich warb. Die Verbindung mit der Londoner Kaufmannstochter versprach hervorragende Gewinne für die Zukunft. Als die Nachricht vom vermeintlichen Tod meiner Mutter und mir im Kontor eintraf, nutzten die alten Fischarts Gernots Verwirrung, um ihn zur raschen Heirat mit Editha zu drängen. Benommen vor Trauer willigte er ein. Als ich dann plötzlich doch wiederauftauchte, war er außer sich vor Kummer. Mir ging es ähnlich. Seine Eltern bestanden jedoch weiter auf der Heirat mit Editha. Immerhin war die nicht nur mutterseelenallein aus der Fremde angereist, sondern brachte im Gegensatz zu mir einen beeindruckenden Brautschatz mit. Lore aber war viel zu sehr in ihrer Trauer um Ewald gefangen, um mir tatkräftig beizustehen. Sie schaffte es nicht einmal, um Unterstützung bei einem der vielen Kaufleute in der Stadt zu bitten, die Ewald noch aus Dortmund gekannt hatten. Eine Nacht gewährten uns Gernots Eltern in ihrem Haus Unterschlupf, dann sollten wir, ausgestattet mit einem Beutel Geld als Entschädigung, aus ihrem Leben verschwinden. In dieser einen Nacht fanden Gernot und ich in unserer Verzweiflung Trost beieinander. Für einige Stunden vergaß ich darüber sogar die Greuel des Überfalls. Am nächsten Morgen aber trennten sich unsere Wege. Gernot heiratete Editha, meine Mutter und ich zogen in den Löbenicht. Gernot und ich verloren uns ganz aus den Augen. Das Letzte, was ich hörte, war, dass seine Eltern kurz nach der Hochzeit auf der Reise nach London zu Edithas Eltern starben. Ihr Schiff sank in einem Unwetter auf dem
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