Gold und Stein
Kanal.«
Wieder legte sie eine Pause ein und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Agnes suchte ihren Blick, wollte darin lesen, was sie empfand, doch Gunda wich ihr aus. »Alles wäre letztlich wohl gutgegangen, hätte ich nicht kurz darauf festgestellt, schwanger zu sein. Natürlich fürchtete ich, es könnte sich um die Frucht der Schändung handeln. Ein uneheliches Kind zu gebären hätte mich und meine Mutter auch noch der letzten Würde beraubt, die uns geblieben war. Überstürzt willigte ich deshalb in die Ehe mit Rudolf Kelletat ein, einem braven, verwitweten Böttchermeister. Er war ein guter Mann. Zwar erkannte er gleich nach der Niederkunft, dass meine Kinder eindeutig nicht die seinen waren, dennoch nahm er sie im Beisein meiner Hebamme Gerda Selege und ihrer früheren Schülerin Hermine Hundskötter als seinen Sohn und seine Tochter an. Die Hundskötterin aber gönnte uns das Glück nicht. Sofort erzählte sie Gernot von den beiden Kindern, insbesondere, dass der Junge ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. Da Editha zur selben Zeit ein totes Kind geboren hatte, überredete sie die beiden, Caspar zu sich zu holen. Damit würden sie mich vor der Schande bewahren, der Zwillinge wegen des Ehebruchs bezichtigt zu werden.«
»Und weil Kelletat den Kindsraub verhindern wollte, tötete mein Vater ihn«, warf Caspar tonlos ein.
»Was?« Wie aus einem Traum erwachend hob Gunda den Kopf, sah auf ihren Sohn, schüttelte sacht den Kopf. »Nein, so war es nicht. Die beiden gerieten zwar in heftigen Streit, doch Kelletat gelang es, Gernot zum Gehen zu bewegen. Als er auf der Treppe nach unten vorausging, muss er aus unerfindlichen Gründen gestolpert und unglücklich gestürzt sein. Gernot war dicht hinter ihm, dennoch bin ich sicher, dass er ihm keinen Stoß versetzt hat. Dazu wäre er niemals fähig.«
»Trotzdem hat er die Lage ausgenutzt, sich Caspar gegriffen und ist mit ihm davongerannt!«, empörte sich Agnes. Auf einmal zweifelte sie, ob sie nachher tatsächlich mit Caspar und Laurenz zu den Fischarts gehen und ihren Vater kennenlernen wollte. Einen Kindsräuber Vater nennen zu müssen, was für ein entsetzlicher Gedanke! Erschüttert sah sie zwischen Gunda, der Muhme, Laurenz und Caspar hin und her. Alle vier waren zu sehr in ihren eigenen Gedanken versunken, um auf sie zu achten.
»Jetzt erinnere ich mich wieder, was mir meine Schwester damals erzählt hat«, meldete sich die Streicherin zu Wort. »Die Hundskötterin, hat sie mir mehrmals gesagt, habe es nicht mehr verdient, sich als ihre Schülerin auszugeben. Sie habe eine üble Sache angezettelt. Was genau das war, darüber hat meine Schwester allerdings zeitlebens geschwiegen.«
»Wahrscheinlich, weil es ihr so zuwider war«, fügte Laurenz an. »Nachdem Kelletat sich ausdrücklich zu den beiden Kindern bekannt hatte, war es völlig überflüssig, einen der Zwillinge wegzugeben. Damit bestand für Euch, liebe Fröbelin, keine Gefahr. Kelletat hätte Euch auch weiterhin treu zur Seite gestanden und Euch gegen sämtliche falschen Unterstellungen in Schutz genommen.«
»Kelletat war in der Tat ein sehr verlässlicher Mann«, pflichtete Gunda bei. »Doch der Hundskötterin war es gelungen, Gernot in den Kopf zu setzen, mir unbedingt helfen zu müssen. Da flammte wohl auch ein Rest seiner Liebe mir gegenüber auf. Vergesst nicht, ihn plagte das schlechte Gewissen, dem Drängen seiner Familie zu leicht nachgegeben und Editha statt meiner geheiratet zu haben. Wild entschlossen, das zumindest teilweise wiedergutzumachen, kam er zu mir. Als er dann noch entdeckte, dass ihr beide sein eigen Fleisch und Blut seid, verlor er völlig den Kopf.«
»Wieso hast du ihn gewähren lassen und deinen Sohn nicht gleich wieder zurückgefordert? Stattdessen bist du kurz darauf bei Nacht und Nebel mit Lore aus dem Löbenicht geflohen. Damit hast du dich selbst ins Unrecht gesetzt.« Sosehr Agnes sich bemühte, gelang es ihr weder, das Verhalten Gernots und der Hundskötterin, noch weniger aber, das der eigenen Mutter zu begreifen.
»Was glaubst du, habe ich getan?«, fuhr Gunda sie verärgert an. »Kelletat war noch nicht einmal unter der Erde, da bin ich mit dir auf dem Arm zu Gernot und Editha in die Altstadt und habe meinen Sohn zurückverlangt. Die Hundskötterin aber hat es so gedreht, dass ich dastand, als wäre ich von Sinnen: Der Junge an Edithas Brust war Gernot wie aus dem Gesicht geschnitten, trug sogar dasselbe Feuermal im Nacken. Als ich
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