Gold und Stein
Konventshaus im Innern abgetragen, doch davon ist kaum mehr etwas zu sehen. Die Leute wollten nur Steine, um ihre Häuser auszubauen. Im Innern der Burg hatte der Orden reichlich Baumaterial gelagert, von dem die Leute geplündert haben. Das hat die Burg vor weiteren Schäden bewahrt.«
Versonnen betrachtete er die Zeichnung, als gelte es, dadurch jeden einzelnen Stein wieder an seinen alten Platz zu rücken. Agnes schmunzelte, sprach daraus doch seine ganze Leidenschaft für sein Handwerk. Schließlich blätterte er weiter, zeigte ihr mehrere Zeichnungen einer weiteren riesigen Anlage in Marienburg sowie zuletzt die einer vergleichsweise bescheiden anmutenden Burg. »Die solltest du bereits erkennen können.« Erwartungsvoll sah er sie an.
»Da brauche ich wohl nicht lange zu überlegen«, erwiderte sie und drehte den Kopf in die Richtung, in der die Burg von Labiau lag. Im Vergleich zu Königsberg und Marienburg wirkte sie in der Tat sehr bescheiden.
»Du scheinst eine gelehrige Schülerin«, erklärte er und nahm ihr das Buch behutsam aus der Hand. »Das Gespräch sollten wir bei Gelegenheit fortsetzen. Im Ordensland gibt es noch viele weitere, sehr lohnenswerte Bauten, die für die jahrhundertealte Macht der Kreuzherren stehen. Wie der Bernstein ihr Gold aus der Ostsee ist, so sind die Burgen ihr Gold aus gemauertem Stein.« Als handelte es sich um einen kostbaren Schatz, stopfte er sein Büchlein umsichtig in einen Lederbeutel und verschnürte diesen an seinem Gürtel.
»Ich verspreche dir«, hub er feierlich an und hob die rechte Hand zum Schwur, »so bald als möglich darfst du ausgiebig in diesem Buch lesen, wie du längst auch in meinem Herzen lesen darfst. Zuvor aber müssen wir uns den Notwendigkeiten stellen. Noch sind wir nicht Mann und Frau, deshalb gilt es, den Schein als Base und Vetter zu wahren. Wir gehen jetzt zurück in den Krug und packen unsere Sachen. Morgen früh brechen wir zeitig auf. Ich bringe dich zu einer Verwandten in den Königsberger Löbenicht. Ich habe ihr bereits eine Nachricht geschickt. Bei ihr bist du nicht nur vor allen unerwünschten Nachfragen sicher, sondern auch vor aller Unbill, die der weitere Krieg der Städte und der Ordensritter bereithalten mag. So schnell wie möglich kehre ich dorthin zurück.«
»Wann wird das sein?«
»Bis zum Winter hoffe ich wieder zu Hause zu sein. Lass uns bis dahin warten, wie sich die Lage entwickelt. Schließlich will ich auch deine Mutter nicht übergehen und sie, wie es sich gehört, demütig um deine Hand bitten.«
»Oh Laurenz!«, war alles, was sie herausbrachte, und sie umarmte ihn von neuem.
»Versprich du mir bitte noch eins«, erklärte er und löste sich aus der Umklammerung, bevor die neuerliche Nähe weitere Begierden weckte.
»Alles, was du willst, solange du nur immer bei mir bleibst!« Ihre Stimme zitterte. Die Aussicht, ihn nicht nur für die bevorstehende Nacht, sondern für viele weitere Nächte und Tage, wenn nicht gar Wochen und Monate aus ihren Armen zu verlieren, erschreckte sie. Sie senkte das Antlitz, damit er ihre Tränen nicht sah. Sanft fasste er mit der rechten Hand unter ihr Kinn und hob es leicht nach oben. Sie biss sich auf die Lippen, rang um Fassung.
»Hör auf, an mir zu zweifeln, Liebelein. So wie du dich mir vollends ausgeliefert hast, so bin ich dir seit unserer ersten Begegnung restlos verfallen. Ein Leben ohne dich kann und will ich nicht mehr leben. Doch wir brauchen Geduld. Vertrau mir, ich werde so schnell wie möglich zu dir zurückkehren, und dann werden wir auch bald heiraten.«
»Ach Liebster, wenn es doch nur schon so weit wäre!«
2
Ü ber dem Land lag das frühe Morgenlicht. Als riesige, unschuldig weiße Scheibe schälte sich die Sonne aus ihrem nächtlichen Bett weit hinter dem Großen Moosbruch heraus. In ihrem Gefolge breitete sich ein weißgoldener Streifen zwischen Himmel und Erde aus. Stetig wuchs er an und schenkte dem einheitlichen Dunkel ringsum die unterschiedlichsten Farbtöne. Graue Wolkenschlieren schoben sich an der Sonne vorbei, verfärbten sich darüber blaurot.
Trotz der frühen Stunde fühlte Agnes sich munter. Die Aussicht, einige Stunden allein mit Laurenz unterwegs zu sein, versetzte sie in ausgelassene Stimmung. Fasziniert schweifte der Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen über die Umgebung. Rechter Hand war das Haff nur als schwache Erinnerung auszumachen, linker Hand wechselten sich weite, bräunlich gefärbte Äcker und satte grüne Wiesen mit lichten
Weitere Kostenlose Bücher