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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Laubwäldern sowie hüfthohem Gestrüpp ab. Die nächtliche Feuchtigkeit stieg in sanften Dunstfeldern aus der Erde auf. Birken säumten den Weg. In großzügigen Schleifen führte er über die hügelige Landschaft nach Südwesten zu. Obwohl es sich um die gängige Strecke von Labiau nach Königsberg handelte, hatten sie bisher lediglich zwei alte Männer mit großen Kiezen voller getrockneter Fische gleich hinter den letzten Hütten der Lischke überholt. Eine geraume Weile später waren sie an einem jungen Burschen mit einem leeren Karren vorbeigezogen. Seither schien ihnen die Straße allein zu gehören. Gelegentlich lag ein einsames Gehöft oder eine Hütte fernab des Weges auf einem Hügel. Hunde bellten, wenn sie vorüberkamen, Vögel flogen kreischend von den Bäumen auf. In den Senken, die sie durchquerten, kündeten winzige Weiher vom feuchten Grund. Einmal passierten sie eine Gruppe Eichen. Die Bäume mussten jahrhundertealt sein. Weit ragten ihre Äste von den knorrigen, ausgehöhlten Stämmen ab, die so breit waren, dass gut zwei oder mehr Männer darin Unterschlupf fanden.
    »Die sind noch aus der Zeit der Prussen«, erklärte Laurenz andächtig. »Sie standen schon, als die Samländer, Nadrauer und Schalauer hier ansässig waren. Ihnen sollen sie als heilig gegolten haben. Nachdem die Kreuzherren sie vor mehr als hundert Jahren bis weit hinter die Deime und Memel zurückgedrängt hatten, waren diese Eichen Zeugen der furchtbaren Gefechte.«
    »Und jetzt werden sie Zeuge, wie die Weißmäntel gegen die preußischen Städte kämpfen«, fügte Agnes hinzu.
    »Tja, das ist wohl der Lauf der Zeit«, nickte Laurenz.
    Agnes saß auf dem stämmigen Pferd, streckte die Beine zwischen die vielen Beutel und Kästen, in denen Laurenz seine Zirkel, Eisen, Winkel, Messlatten und sonstigen Werkzeuge verpackt hatte. Ihr eigenes Bündel lag zu einer ordentlichen Rolle geschnürt quer über dem Widerrist des Tieres. Längst hatte sie sich an das Reiten gewöhnt und klammerte sich nicht mehr allzu verkrampft an der hellen Mähne des Braunen fest. Laurenz marschierte dicht neben ihr und hielt die Zügel in der Hand. Sie hatte sich gewundert, warum er nicht ebenfalls aufgesessen war. Womöglich mied er die körperliche Nähe zu ihr, um sich auf den bevorstehenden Abschied vorzubereiten. Ihr graute bei der Vorstellung, bald allein in der Fremde ausharren zu müssen.
    »Vor Anbruch der Dunkelheit sollten wir im Löbenicht eintreffen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Im nächsten Krug wartet ein Zunftgenosse mit dem Fuhrwerk. Darauf wirst du einen Platz finden, und ich kann nebenher reiten. So werden wir schneller vorankommen.«
    Agnes bedauerte, so bald schon die Zweisamkeit mit ihm aufgeben zu müssen. Versonnen betrachtete sie den Geliebten von ihrer erhöhten Warte aus. Das schwarze Barett saß ordentlich auf dem gewellten, kinnlangen dunklen Haar. Die breiten Schultern wurden durch den eng anliegenden Rock und die bunt bestrumpften Beine betont. Was gäbe sie darum, noch einmal in seinen Armen zu liegen und sich an seine Brust zu schmiegen! Er tat, als bemerkte er ihre Blicke nicht, war ganz mit dem Weg beschäftigt, obwohl er die Strecke zur Genüge kannte. »Schau nur, der kommt vom Großen Moosbruch herüber«, wies er sie auf einen Falken hin, der nicht weit von ihnen hoch oben in den Lüften seine Kreise zog.
    »Falken findet man doch nur in gebirgigen Gegenden«, stellte Agnes verwundert fest und drehte sich auf dem Pferderücken vorsichtig nach dem Vogel um. Laurenz schmunzelte. »Das ist wohl das Besondere an der Gegend hier. Hier tauchen sie seltsamerweise auch auf, wie so manch anderes hier von Besonderheiten zeugt.«
    Gelassen segelte der Vogel hoch am Himmel, bis er jäh nach unten stieß, geradewegs auf einen kleineren Vogel zu. Durch den Zusammenprall geriet das Beutetier aus dem Gleichgewicht, der Falke flog zunächst weiter, machte kehrt und schnappte sich das erlegte Tier noch in der Luft.
    »Der hat auch keine Zeit zu verlieren«, stellte Laurenz bewundernd fest. Entschlossen klopfte er dem Braunen auf die Flanke, um ihn zu schnellerem Gehen zu bewegen.
    »Dort vorn ist der Krug«, verkündete er schließlich und wies mit der Hand nach vorn. Auf einem Hügel zeichneten sich mehrere Dächer im Schutz einiger Bäume ab. »Erschrick nicht: Mitten im Dorf liegt der Teufelsstein. Es heißt, der stamme wie die heiligen Eichen, die wir eben gesehen haben, ebenfalls noch aus der Zeit der Prussen. Wenn du

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