Gold und Stein
harschen Streit Zuflucht in der innigen Umarmung zu finden. Agnes spürte, wie sich statt Verzweiflung ein ganz anderes Gefühl ihrer bemächtigte. An Laurenz’ schneller werdendem Herzschlag erkannte sie, dass es ihm ähnlich erging. Viel zu lang hatten sie einander entsagen müssen! Ihr wurde heiß, zugleich verlangte sie danach, sich noch enger gegen ihn zu pressen. Ihre Hände wanderten seinen breiten Rücken entlang, die Finger bohrten sich in den Stoff seines Rocks. Auch seine Hände blieben nicht ruhig, strichen zunächst zögernd, dann immer fordernder über ihren Leib, wanderten hinab auf ihr Gesäß, kneteten das weiche Fleisch, drückten es fest gegen seinen Unterleib. Sacht ließen sie sich zu Boden gleiten. »Liebste!«, raunte er ihr ins Ohr. »Bitte glaube mir, wie sehr ich dich liebe!«
Als sie sein geliebtes Gesicht so nah vor sich sah, seinen warmen Atem auf der Haut spürte, war jeglicher Widerstand gebrochen. Sie begehrte nur noch eins: sich mit ihm zu vereinen und im gemeinsamen Streben nach der höchsten Lust Erfüllung zu finden. Entschlossen zerrte sie an seinem Rock, löste den Gürtel und knöpfte das Hemd auf. Seine Haut fühlte sich heiß an wie im Fieber. Ein leichtes Zittern lief über seinen Leib. Er stöhnte auf, stützte sich einen Moment lang noch auf seinen Armen ab und blickte ihr voller Sehnsucht in die Augen. Sie lächelte ihn an. Gierig raffte er den Stoff ihres Rocks und ließ sich zwischen ihren Beinen nieder. Das dichte Gestrüpp um sie herum bot einen guten Schutz. Trunken vor Liebe und ausgehungert von der seit Tagen verdrängten Sehnsucht fielen sie übereinander her.
Erst nach unzähligen Küssen, Umarmungen und der von ihnen beiden begehrten Vereinigung ließen sie voneinander ab. Das Zirpen der Grillen wurde lauter, Vogelgezwitscher drang an ihre Ohren. Gedankenverloren hakten sie ihre Hände ineinander, spielten mit den Fingern und betrachteten einander im schattigen Licht des Busches.
»Wieso sind deine Finger steif?«, fragte Agnes und küsste die unbeweglichen Finger seiner rechten Hand.
»Das ist eine lange Geschichte«, winkte er ab und richtete sich halb zum Sitzen auf. »Ich habe eine Unvorsichtigkeit teuer bezahlt. Wenigstens bewahrt es mich davor, bei den Bauarbeiten kräftig mit anpacken zu müssen. So kann ich mich auf das Wesentliche beschränken.«
»Und das wäre?«
»Das fragst du noch? Das Schöne natürlich.« Er beugte sich vor und küsste ihr den Bauch, wanderte mit den Lippen zu ihrer Scham hinunter. Das machte sie frösteln. Von neuem überfiel sie die Lust, auch er wurde von der Glut abermals erfasst. Wieder verschlangen sie einander gierig. Erschöpft schob sie ihn schließlich von sich hinunter, strich den Rock über ihre Blöße und setzte sich auf.
Ihre Zöpfe hatten sich gelöst, im Haar fanden sich Dutzende von Grashalmen. Sie begann, sie zu zupfen und das lange, glatte Haar von neuem ordentlich zu flechten. Dabei betrachtete sie Laurenz, der ebenfalls seine Kleidung richtete. Das schwarze Barett lag neben ihr im Gras, auch das kleine Buch und das Kästchen mit Besteck, das er an seinem Gürtel zu tragen pflegte, hatte er dort abgelegt.
»Darf ich?«, fragte sie und griff nach dem Büchlein. Schon bei seinem ersten Besuch im Silbernen Hirschen hatte er aufmerksam darin gelesen. Der etwa handgroße, mindestens gut eine halbe Handbreit dicke Band wirkte vielgenutzt. Das dicke Papier blätterte sich leicht auf. Dicht an dicht fanden sich darin endlose Zahlenkolonnen, Zeichnungen von Gebäuden, Skizzen von Ornamenten und Verzierungen, eng geschriebene Notizen. Die Buchstaben waren winzig, aber von äußerster Genauigkeit. Völlig fasziniert betrachtete Agnes sie.
»Was ist das?« Mit dem Finger wies sie auf die Zeichnung eines gewaltigen Bauwerks, umringt von mehreren Mauern. Verschieden hohe Türme durchbrachen sie.
»Das ist das Ordenshaus in Königsberg«, erklärte Laurenz und beugte sich über die Seiten, um sie auf einige Besonderheiten hinzuweisen. »Sieh hier: der freistehende Turm im Süden mit den auffälligen Rundbogenfenstern, der Danzker in der Südwestecke über dem Burggraben, die Art, wie die Vorburg das Innere an drei Seiten umschließt. Ist das nicht wundervoll? Zum Glück haben die Ordensritter sie Anfang letzten Jahres nicht bis aufs Blut verteidigt, sondern sind freiwillig abgezogen. So haben die Bürger sie ohne Kampf eingenommen. Zwar wurden große Teile der Vorburgmauer im Süden und einige Wände am
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