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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Haares klebten verschwitzt auf der Stirn. Die seit Juli herrschende Sommerhitze setzte sich auch im August unerbittlich fort. Umso schwerer war die Arbeit am Braufeuer zu ertragen. Griet beklagte sich jedoch nicht. Bienenfleißig, wie sie stets im Schankraum die Suppe gekocht und die Gäste bedient hatte, ging sie Ulrich auch beim Einmaischen und Kochen der Würze zur Hand. Viele leere Fässer standen allerdings nicht mehr bereit. Das hatte Ulrich am Morgen schon verkündet. Wie von Böttchermeister Haude angekündigt, war sämtliches neu angelandete Holz zum Bau der Schanzen verbraucht worden. Sollte die Belagerung länger andauern, würden über kurz oder lang die letzten Hopfenvorräte verrotten. Doch nicht einmal an dieser niederschmetternden Nachricht zeigte Gunda sonderliches Interesse.
    »Um Agnes solltet Ihr Euch wahrlich nicht grämen«, fuhr Griet fort. »Sie weiß, was sie tut. Ihr solltet froh sein, dass sie noch rechtzeitig aus der Stadt gekommen ist. Nicht einmal mehr einer Maus gelingt jetzt noch die Flucht, ohne dass die Söldner vor den Mauern gleich die Schwerter zücken. Wer weiß, was uns die nächsten Wochen bevorsteht. So bald werden die Kreuzherren die Belagerung nicht beenden. Eure Tochter ist in Sicherheit, Meisterin. Das allein zählt.«
    Ulrich nickte. »Unsere Mauern sind zwar dick, unsere Männer zu allem entschlossen und unsere Vorratskammern gut gefüllt. Die nächsten Wochen aber werden trotzdem kein Zuckerschlecken. Wohl dem, der sich diese Not ersparen kann!«
    »Was wisst denn ihr«, erwiderte Gunda leise. »Nur weil ich eine großgewachsene, kräftig gebaute Frau bin, die über Jahr und Tag an der Seite ihres Mannes die Schankwirtschaft geführt und nach seinem Tod alles allein bewerkstelligt hat, heißt das nicht, dass ich noch mehr ertrage. Falls ihr es vergessen habt: Mein einziges Kind ist verschwunden! Draußen vor den Stadtmauern liegen feindliche Truppen auf der Lauer, ein wildfremder Mann hat mir meine Tochter weggenommen. Redet mir da nur nicht länger von Glück und göttlicher Fügung, die Agnes rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätten. Bei mir wäre sie vor jeder Unbill geschützt gewesen, nicht aber bei diesem Menschen! Ihr ganzes bisheriges Leben lang habe ich auf sie aufgepasst. Wer, wenn nicht ich, weiß, was das Beste für sie ist?«
    Verloren schweifte der Blick ihrer rehbraunen Augen durch die Schankstube. Selbst am helllichten Tag lag der Großteil des Raumes im Dämmerlicht. Die von Lore blank polierten Bänke und Tische fristeten ein trübes Schattendasein. Gleich bei der ersten Nachricht vom Eintreffen der ordensritterlichen Truppen hatte Ulrich Tür und Fenster von innen fest verrammelt. Lediglich zum Hof hin blieben Tür und Fenster offen. Von dort fiel auch jetzt die gleißend helle Augustsonne herein. Das Herdfeuer tat ein Übriges, für Licht im hinteren Teil der Schankstube zu sorgen und gleichzeitig den Raum aufzuheizen. Aus dem Kessel über dem Feuer stieg Dampf auf. Seit dem frühen Morgen stand Lore dort und rührte eifrig in der Suppe. »Zum letzten Mal kocht noch einmal Fleisch darin. Das nächste Huhn wird erst gerupft, wenn es die Befreiung der Stadt von der Belagerung zu feiern gilt.«
    Trotz dieser Aussicht auf magere Zeiten war Gunda der Geruch nach gekochtem Gemüse und Fleisch zuwider. Sie wollte nichts essen, sie wollte ihre Tochter zurück! Unwillkürlich schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. Griet zuckte zusammen, Lore fuhr herum.
    »Kind!«, rief Lore und warf den Rührlöffel in den kupfernen Topf. Fettige Suppe spritzte über den Rand, verdampfte zischend im offenen Feuer.
    Erregt sprang Gunda auf und schoss auf die Herdstelle zu. »Wie kannst du es wagen!«, fuhr sie ihre Mutter an. »Ich bin eine gestandene Schankwirtswitwe. Fünfunddreißig Jahre zähle ich und habe mir heute Morgen die ersten grauen Haare von den Schläfen gezupft. Kein Wunder, wenn ich daran denke, dass meine Tochter spurlos verschwunden ist.«
    Lore wollte etwas erwidern, doch Gunda machte eilig kehrt und stürmte über die Treppe ins Obergeschoss. Laut polterten ihre hölzernen Trippen über die Dielen. Sie stieß die Tür zu Agnes’ Schlafgemach auf und stürzte sich bäuchlings auf das Bett. Den Kopf tief in die Kissen gedrückt, sog sie den Geruch der Siebzehnjährigen ein, der noch immer in der Wäsche hing.
    Über ihrer Verzweiflung verging die Zeit. Als sie den Kopf wieder hob und sich aufsetzte, lag die längliche Kammer in kühlerem

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