Gold
zum Waschbecken, während die Schritte der Mädchen näher kamen. Die Zahnlücke war schlimmer als körperliche Nacktheit. Er legte an Tempo zu, zerrte seine nutzlosen Beine über den Linoleumboden und spürte, wie jede Zehntelsekunde an ihm fraß.
Die Badezimmertür öffnete sich in dem Moment, als seine Hand nach der Prothese griff. Aber sie entglitt seinen eiskalten Händen, als er sie sich in den Mund stopfen wollte, sprang auf den Rand des Waschbeckens und segelte durch die Luft. In einem vollkommenen Bogen landete sie schließlich fast lautlos in der Toilettenschüssel.
»Leck mich am Arsch, Leben.«
Kate und Zoe fanden ihn zusammengesunken auf dem Boden, eine wässrige Schneckenspur reichte von der Badewanne bis zu seinen Füßen. Er hatte am ganzen Körper Gänsehaut und war völlig aufgeweicht. Er verdrehte den Hals, um zu ihnen aufzuschauen, mit nichts bekleidet als einem zahnlosen Grinsen.
»Ihr solltet mal sehen, wie der andere Kerl zugerichtet ist«, scherzte er. Mehr konnte er unter diesen Umständen nicht tun.
Zoe hielt sich die Hand vor den Mund, hin und her gerissen zwischen Gelächter und Schock. Kate schaute ihn über Zoes Schulter hinweg ungläubig an.
Tom seufzte. »Hört auf, so blöd herumzustehen und zu gaffen.«
Zoe nahm seinen Bademantel vom Türhaken und wickelte ihn darin ein. Sie kniete sich neben ihn und ergriff seine Hand, wobei sie sich suchend im Raum umsah.
»Die Knie sind völlig blockiert. Hatte Probleme, mein nasses Grab zu verlassen.«
»Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
Er verzog das Gesicht. »Lieber den Tierarzt. Ihr könnt mich gleich einschläfern lassen.«
Er merkte, dass die Mädchen erschüttert waren. Er war ein Fixpunkt in ihrem Leben, und den hatten sie weiß Gott nötig. Er musste möglichst schnell wieder einer werden, doch im Moment zitterte er so sehr, dass seine Beine auf den Linoleumboden trommelten. Er zappelte wie ein gestrandeter Fisch.
»So, ganz ruhig, Leute.« Er klang wie John Wayne und führte sich auf wie Flipper.
»Soll ich eine Decke holen?«, erkundigte sich Kate.
Er tat den Vorschlag mit einer Handbewegung ab. Ab einem bestimmten Alter war Freundlichkeit wie eine unsichtbare Fliege, die man besser verscheuchte.
»Was können wir denn tun?«, fragte Zoe.
»Du, meine Süße, kannst dein Luxusapartment verkaufen. Es tut dir nicht gut. Zieh in mein Gästezimmer, dann koche ich dir drei Mahlzeiten am Tag und sorge dafür, dass du keinen Unsinn anstellst.«
Sie hob eine Augenbraue. »Und dafür sollte ich herkommen?«
»Ja. Du kannst wieder gehen.«
»Können wir dich hochheben?«, fragte Kate.
»Catherine, Schätzchen, ich wiege fünfundsechzig Kilo. Das ist doch für euch kein Problem.«
Sie lachte. »Würdest du dir vorher was anziehen?«
»Vielleicht. Wenn ihr versprecht, immer hart zu trainieren.«
Sie tat, als wollte sie ihm einen Boxhieb versetzen. »Weißt du was, du bist ein Arschloch. Ich dachte, du hättest einen Herzinfarkt oder so was. Ich habe mir echt Sorgen gemacht.«
»Kinder, ihr sorgt euch aber auch wegen jedem Mist. Als ich so alt war wie ihr, war ›Sorgen‹ für mich ein Fremdwort.«
Zoe drückte seine Hand. »Du bist ja eiskalt .« Sie sah ihn an, und er begriff erstaunt, dass sie sich tatsächlich um ihn sorgte. Er kämpfte gegen die Tränen, die in seinen Augen brannten.
Dann hustete er und wandte sich ab. »Stellt mich mal auf die Füße, okay?«
Sie richteten ihn auf, und er hielt wankend das Gleichgewicht, während sie ihm ins Wohnzimmer halfen und ihn in einen Sessel neben dem elektrischen Kamin setzten. Zoe holte die Daunendecke aus seinem Bett, breitete sie über ihn und schaltete den Kamin ein.
»Verdammt, jetzt wird’s richtig gemütlich.«
Er zitterte noch immer. Die Kälte setzte ihm mehr zu, als er gedacht hatte. Kate brachte ihm einen Tee, und er schloss die Hände um die Tasse, wobei er sich bemühte, nicht den gesamten Inhalt zu verschütten.
Er musste die Situation in den Griff bekommen.
»Okay, ihr beiden. Andere Rede als geplant. Wir haben achtzehn Wochen und einen Tag bis zu den ersten Vorläufen in London. Jede Minute zählt, und nun seht mich an. Ich bin der älteste Coach in der Branche, und es sind eure letzten Olympischen Spiele. Als euer Trainer muss ich euch raten, euch jemanden zu suchen, der funktionstüchtige Knie hat.«
Er beobachtete ihre Reaktion, doch sie wandten sich ab und schauten einander an. Etwas ging zwischen ihnen hin und her, und dann sahen sie ihn
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