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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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zurück, wobei sie den Blick auf die Straße gerichtet hielt. Es gefiel ihm, wie sie fuhr, zu nahe am Lenkrad, die Hände eng nebeneinander. Sie blinzelte durch die Windschutzscheibe, als navigierte sie auf etwas Komplizierterem als einem flachen, geraden Streifen Asphalt mit säuberlichen Markierungen.
    Erst später fand er heraus, dass sie ein Problem mit ihren Kontaktlinsen gehabt hatte und nicht wollte, dass er sie mit Brille sah.
    »Du fährst wie eine alte Frau«, sagte er.
    Eine winzige Pause. »Keine alte Frau würde dich in ihr Auto lassen.«
    Als sie an einer Tankstelle anhielten, um einen Kaffee zu trinken, musste sie den Rollstuhl aus dem Kofferraum holen und auseinanderklappen. Er rollte sich selbst zur Behindertentoilette, parkte parallel neben der hohen Porzellanschüssel und hievte sich hinauf. Er pinkelte im Sitzen, wobei er sich an den verchromten Sicherheitsgriffen festhielt, und versuchte, nicht an all die wundgesessenen Hintern zu denken, die vor ihm hier gewesen waren. Als er wieder auf den Parkplatz rollte, fuhr er durch einen Hundehaufen und beschmierte sich die rechte Hand. Im Auto wischte er sie an einem Taschentuch ab, das Kate ihm gegeben hatte, während sie ihm ausführlich erklärte, dass sie ihm nichts versprechen könne. Es war eine lange Ansprache. Er hatte den Eindruck, dass sie sie auf der ganzen Fahrt nach Süden geprobt hatte.
    Sie hatte eine kleine Wohnung mit Blick auf das braune Wasser der Bucht und einem Schrankbett zum Ausklappen. Da er der Einzige mit einer Wirbelsäulenverletzung war, schlief er im Bett und sie auf einer Luftmatratze. Tagsüber ging sie zu ihrem Job im Fitnessstudio, während er seine Krankengymnastik machte und ihre Fahrradzeitschriften las. Sie hatte keinen Fernseher. Abends trainierte sie auf ihrem Straßenrad und kam spät nach Hause. Er kochte Nudeln für sie, denn Herd und Spüle waren auch vom Rollstuhl aus zu erreichen.
    Sie stützte seinen Kopf und Nacken, wenn er morgens auf dem Boden seine Übungen machte, und zweimal in der Woche fuhr sie ihn zur Physiotherapie nach Manchester. Sie war dabei, als er sich zum ersten Mal aus dem Rollstuhl erhob und ohne Hilfe stand, und sie hielt seine Hände und half ihm wieder in den Stuhl, wenn der Schmerz im Rücken zu schlimm wurde.
    Es war eine Zeit der Fortschritte und der Rückschläge. Nach einigen Wochen konnte er von ihrer Wohnung zum Laden an der Ecke und wieder zurück gehen. Danach lag er zwei Tage und Nächte mit heftigen Rückenschmerzen im Bett. In der zweiten Nacht kam sie zu ihm ins Bett, und obwohl sie ihn noch nicht küssen wollte, legte sie den Arm um ihn und drückte ihr Gesicht an seinen Hals, bevor sie einschlief. Am nächsten Morgen verloren sie kein Wort darüber, begannen den Tag wie immer, sahen demonstrativ zur Seite, während der andere sich anzog.
    Das Glück wuchs. Es fühlte sich normal an, als er sie das erste Mal im Fitnessstudio besuchte. Es fühlte sich normal an, als sie ihn auf dem Heimweg im Auto küsste. Sie schliefen zusammen im Bett, hatten die Luftmatratze weggestellt. Den Stöpsel gleich am ersten Tag zu ziehen wäre zu dramatisch oder endgültig gewesen. Am nächsten Tag war Kate abends lange unterwegs, und Jack war allein zu Hause. Aber es wäre ihm vermessen erschienen, einfach die Luft abzulassen. Am dritten Tag war Kate versucht, den Stöpsel zu ziehen, während Jack eine Runde um den Block drehte. Was zwischen Jack und ihr passierte, war fast zu schön, um wahr zu sein. Sie wollte das Schicksal nicht herausfordern. Am Ende der Woche interessierten sich beide nicht mehr für die Luftmatratze. Kate legte jetzt ihre Trainingsausrüstung zum Trocknen darauf. Die Luftmatratze blieb einen Monat lang gegen die Wand gelehnt stehen und sackte allmählich in sich zusammen, während ihre Beziehung enger und die Matratze irgendwann so schlaff wurde, dass sie sich nicht mehr als Wäscheständer eignete. Da nahm Kate die Sache nüchtern in die Hand, legte die von jedem Aberglauben befreite Matratze auf den Boden, zog den Stöpsel heraus und rollte sie zusammen, um die restliche Luft herauszudrücken. Das Zimmer, das sie und Jack jetzt so zwanglos miteinander teilten, füllte sich mit dem unsicheren Atem jenes ersten Abends, an dem sie die Matratze aufgeblasen hatte.
    Nach vier Monaten rief Zoe Jack zum ersten Mal an. Kate war bei der nationalen Meisterschaft, und er unternahm gerade eine seiner langen und schmerzhaften Touren, mit denen seine Rehabilitation auf dem Rad begann.

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