GOLDAUGEN (German Edition)
Irvine, wie geht es dir?«
Franck und Sebi begrüßten ihn herzlich.
» Mir geht es gut, mein alter Körper ist ein Klappergerüst. Aber solange mein Geist so fit ist wie die letzten Tage, will ich mich nicht beschweren.
Ich freu e mich so, euch hier zu sehen.«
Sir Irvine Burlington, fast neunzig, ehemaliger Richter am Old Bailey, dem Central Criminal Court, also Londons Zentraler Strafgerichtshof. Seit fast fünfundsechzig Jahren Mitglied der Bruderschaft, war von Anbeginn seiner Zugehörigkeit einer der markantesten Persönlichkeiten und mit einer ganz besonderen Aura gesegnet. Seit nunmehr vier Jahren ist er durch eine seltene Knochenerkrankung ans Krankenbett gefesselt. Für seine allerbeste Pflege ist gesorgt, leider ist sein körperlicher Verfall nicht aufzuhalten. Er nimmt immer noch über Telefon und Computer am täglichen Geschehen seiner Brüder teil. Sein Geist war schon immer analytisch brillant und äußerst kreativ, alle schätzen ihn sehr. Er hatte den Plan gegen die Kowalskys und Gérard Rosé ausgearbeitet. Irvine würde eines Tages eine große Lücke hinterlassen. Es war für alle schwer, diesen mitleiderregenden, extrem dünnen Körper anzusehen. Der einen wahrlich beeindruckenden Geist und eine liebe Seele beherbergt.
Irvine s Gedanken - jede Formulierung daraus, hatte immer, bei allen angehenden Juristen in den Inns of Court, den Rechtsschulen Londons, für Begeisterung gesorgt. Kein anderer Lehrsaal war je so gut gefüllt wie seiner.
In der Bruderschaft hatten seine Worte besonderes Gewicht . Bis zu seiner Erkrankung gehörte er dem Hohen Rat an.
» Franck, sieh mich nun an, erst habe ich es versäumt und dann war es war mir nicht mehr vergönnt, einen Erben zu zeugen. Von mir bleiben nur ein paar Rechtsschriften und sonst nichts.
Für mich wäre es das Größte, wenn ich in unserer Gemeinschaft in Form eines Sohnes weiterleben dürfte. Du hast eine bezaubernde Frau, nutzt noch die nächsten Jahre , um Euer beider guten Gene in die Welt zu tragen. Das Gleiche gilt auch für dich, Sebastian. Durch eigene Kinder und deren Kinder haben wir eine göttliche Möglichkeit erhalten, eine unendliche Blutlinie zu schaffen.
Meine Endlichkeit seht ihr hier in erschütternder Form. Der Name Burlington wird mit mir ausgelöscht. Macht es besser und hört auf einen alten Freund.«
Er sprach zwar leise und man musste genau zuhören, aber seine Aussprache war deutlich.
» Was redest du, Irvine? Du wirst immer in unseren Herzen einen festen Platz haben, wir werden dich nie vergessen.
Ein paar Recht sschriften? Du hast dem Case Law so viele Präzedenzfälle zugeführt, dass in Großbritannien noch in Hunderten von Jahren aufgrund dieser die Rechtsprechung erfolgen wird. Deine publizierten Bücher nehmen alle künftigen Juristen in die Hand. Du hast so für alle Zeit einen festen Platz im Olymp der künftigen Barrister.
In unserer Gemeinschaft warst du nicht nur für m ich, nein für so viele - wie ein Vater. Liebevoll, geistreich und mit dem typischen britischen Humor gesegnet. Wir alle lieben dich, mit deinem Tod stirbt diese Liebe nicht. Ohne dich hätte in den Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkrieges die Bruderschaft nie so eine Entwicklung genommen. Du hast so viel Gutes in uns injiziert, dass für immer und ewig dein Erbgut weitergetragen wird. Wir sind ein Stückweit deine Kinder.«
Sir Irvine Burlington hatte feuchte Augen und schlief in diesem Moment ein.
Sebastian sprang vom Bett a uf, lief zur Tür und rief nach Margret, der persönlichen Pflegerin des Richters.
Es dauerte keine dreißig Sekunden, dann stand sie am Krankenbett und fühlte seinen Puls. Sie sprach lächelnd:
»Er ist nur urplötzlich eingeschlafen, das passiert in letzter Zeit häufiger. Von einer Sekunde zur anderen. Es schaut seltsam aus, aber sie müssen sich keine Sorgen machen. Er hat ein starkes Herz - wie ein Elefant. Sein Atem ist sehr flach, aber es geht ihm relativ gut. Sein Nickerchen könnte so ein, zwei Stunden dauern. Möchten sie beide hier warten? Dann rufe ich Simmons, der ihnen Speise und Getränke im Esszimmer reichen kann.«
»Nein Margret, vielen Dank. Das ist ganz lieb, aber wenn er wieder wach ist und sich fit fühlt, möchte er mich anrufen. Vielleicht schauen wir am Abend, bevor wir wieder nach Frankreich fliegen, noch einmal nach ihm.«
Sichtlich ergriffen und mit einem dicken Kloß im Hals verließen sie beide das prächtige Gebäude. Auf dem Weg zum Royal-London-Hospital dauerte es eine
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