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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ziehen, meine liebe Ariane. Sehen Sie – es ist vielleicht nicht ganz der rechte Augenblick, aber ich denke schon geraume Zeit darüber nach.«
    Er suchte offensichtlich nach Worten, und ein wenig unzusammenhängend meinte er dann: »In den vergangenen Monaten haben Sie ein wenig Abstand zu mir gehalten, und ich hatte den Verdacht, dass ich Ihnen möglicherweise zu nahe getreten
bin. Ich … nun, ich trage mein Herz nicht eben auf der Zunge, wie Sie sicher schon bemerkt haben.«
    »Ich hatte viel zu tun, Gernot, und wollte mich ganz auf den Aufbau meines Geschäftes konzentrieren. Sie sind mir nicht zu nahe getreten. Aber ich habe mir auch ein paar gesellschaftliche … mhm … Missgriffe zu Schulden kommen lassen. Ach, es war alles so ein Durcheinander.«
    »Ich verstehe von diesen Gesellschaftsformen nicht sehr viel, für mich steht Ehrlichkeit,Verlässlichkeit und Verantwortung an erster Stelle. Und alles drei, liebe Ariane, verkörpern Sie in meinen Augen. Sollten die Philisterinnen das auch anders sehen, steigen sie nicht gerade in meiner Achtung.«
    Dann machte er mir in aller Form einen Heiratsantrag, den ich nach kurzer Verblüffung mit einer Bitte um Bedenkzeit beantwortete.
     
    Diese Bedenkzeit war heute abgelaufen, und in weniger als einer Stunde würde Gernot Wever vor meiner Tür stehen und seine Antwort einfordern.
    Ich begann damit, sehr sorgfältig Toilette zu machen. Weiße, durchbrochene Seidenstrümpfe, hauchdünne Wirkware, befestigte ich mit rosenbestickten Strumpfbändern, dann folgten feinste weiße Unterwäsche, ein Hemd und knielange Unaussprechliche, beides reich mit Spitzen verziert. Darüber kam das Korsett, das – Herrn Kronenberg sei’s gedankt – elastische Seitenteile hatte und erheblich mehr Bewegungsfreiheit zuließ als die früheren steifen Fischbein-Modelle. Es war außerdem vorne zu schließen, sodass die Trägerin auf die Hilfe einer Zofe verzichten konnte. Dann folgte mein neuer Reifrock, sehr leicht aus dünnen Stahlreifen, die den Rock vorne flacher, hinten aber weiter ausgestellt wirken ließen. Darüber zog ich den weiten Batistunterrock, der noch einmal mit seinen Volants Weite am Saum erzeugte.
    Als Nächstes widmete ich mich meiner Frisur. Ein langwieriges Geschäft war das jedes Mal, und während ich mir die langen
Haare ausbürstete, musste ich an mein Gespräch mit Laura und Philipp denken. Sie hatten mit großem Ernst zugehört, als ich ihnen von der neuen Entwicklung berichtete.
    »Herr Wever ist ziemlich nett, Mama«, war Lauras nicht eben überschwänglicher Kommentar.
    »Ja, er ist ganz in Ordnung«, stimmte Philipp ihr zu.
    »Müssen wir dann nach Mülheim ziehen?«, war die nächste nüchterne Frage.
    »Wenn ich ihn heirate, würde er das sicher gerne sehen. Schließlich besitzt er ein Haus neben der Fabrik, und da muss er täglich nach dem Rechten sehen.«
    »Dann müssen wir wieder in eine andere Schule.«
    Das war ein schwieriger Punkt. Laura war in der Höheren Töchterschule bei Fräulein Berit sehr glücklich, und Philipp fühlte sich im Gymnasium ausgesprochen wohl. Beide hatten inzwischen erste Freundschaften geschlossen. Den entsprechenden Eltern war mein angeschlagener Ruf entweder noch nicht zu Ohren gekommen oder er spielte für sie keine Rolle.
    »Würdet ihr lieber bei Tante Caro wohnen bleiben?«, fragte ich daher.
    »Dann können wir aber nachmittags nicht einfach mehr zu dir kommen.«
    »Nein, das ginge dann wohl nicht mehr.«
    Laura und Philipp sahen einander unschlüssig an. Und ich war, ehrlich gesagt, ebenso unschlüssig. Gernot würde uns Sicherheit geben, er hatte mehrmals gezeigt, dass er durchaus Verständnis für die Kinder hatte, aber ich ahnte schon, dass beispielsweise ausgelassene Piratenspiele mit ihm nicht möglich waren. Dazu fehlte es ihm an Phantasie.
    »Wenn du ihn heiraten willst, dann ist das schon in Ordnung, Mama. Dann musst du auch nicht mehr Kleider nähen«, war Philipps abschließender Kommentar.
    »Ja, dann kannst du wieder Besuche machen und Tee trinken.«
    »Sehr richtig, das könnte ich dann.«

    Aber eigentlich machte mir meine Schneiderei wirklich Spaß. Jedenfalls mehr, als hölzerne Konversation bei Nachmittagsbesuchen zu betreiben. Aber wir alle mussten wohl Kompromisse eingehen. Auf lange Sicht würde die Verbindung mit Gernot Wever günstig für uns sein, wenn wir zusammenbleiben wollten.
    »Wisst ihr, ich würde es gerne sehen, wenn du, Philipp, in ein paar Jahren eine angesehene Universität besuchen

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