Goldbrokat
feuchte Stelle oben im Dach.«
»In schäbiger Wohlanständigkeit kann man eine Weile überdauern, damit haben Sie recht. Aber irgendwann bröckelt die Fassade.«
Ich legte den Kopf auf die Knie. Was war der Preis für die Maske der Ehrbarkeit? Ständig kleine Lügen und Ausflüchte finden, immer auf der Hut sein, seine Sorgen nicht zu verraten, jeden Pfennig dreimal umdrehen, nie großzügig sein dürfen? Nur damit die dünkelhaften Damen uns weiter zu ihren steifen Geselligkeiten einluden?
Oder ich einen passenden Gatten fand?
Pah, mein nichtsnutziger Gatte selig hätte meine Bedenken mit einem Lachen beiseitegewischt. Ihm war es immer vollkommen gleichgültig, was die Leute von ihm dachten, und seltsamerweise hatten sie ihn dennoch akzeptiert.
Vielleicht sollte ich mir ein wenig von seiner Skrupellosigkeit zu eigen machen.
Ich hob den Kopf wieder und sagte: »Ich muss es ja nicht an die große Glocke hängen, sollte sie mir einen lukrativen Auftrag erteilen.«
»Nein, das müssen Sie nicht. Es mag eine Weile gut gehen, Ariane. Und haben Sie erst Erfolg, schaut man über manches hinweg.Wenn Sie va banque spielen wollen, dann versuchen Sie es. Sie haben LouLou einen Gefallen getan, damals im Sommer. Nutzen Sie diesen Kredit, sprechen Sie bei ihr vor, und erzählen Sie von Ihren Plänen.«
»Sie meinen wirklich?«
»O ja. Ich meine wirklich.«
Ich verfasste noch am selben Tag ein Billett, in dem ich Frau Wever bat, sie besuchen zu dürfen. Am nächsten Morgen schon hatte ich die Einladung in der Hand, in der sie mich für drei Uhr zu sich bestellte.
Ich kleidete mich sorgfältig an – nicht zu aufwändig, denn sie hatte mich als kleine Näherin kennengelernt, also mochte ich nicht in großer Nachmittagsrobe in ihr Haus rauschen. Ein dunkelblaues Straßenkleid, keinen Reifrock, ein samtbesetzter Wollumhang und ein mit etwas Pelz besetztes Hütchen gaben mir den Anstrich einer ambitionierten Handwerkerin.
Trotzdem war ich aufgeregt. So aufgeregt, dass meine Hände feucht waren, als ich den kurzen Weg über den Gürzenich zur Schilderstraße hinter mich gebracht hatte. Zum Glück war es in den vergangenen Tagen trocken geblieben, sodass ich wenigstens nicht mit schmutzigen Rocksäumen vorsprechen musste.
LouLou Wever bewohnte eines der schmalbrüstigen, zweigeschossigen Häuser, das frisch angestrichen war und eine elegant geschnitzte Eingangstür besaß. Eine mürrische Person öffnete mir und bildete den krassen Gegensatz zur heiteren Fassade. Die ältliche Haushälterin führte mich mit gebrummten Kommentaren ins erste Stockwerk, wo Frau Wever offensichtlich ihren Salon eingerichtet hatte.
LouLou Wever erhob sich hinter dem zierlichen Sekretär, an dem sie etwas geschrieben hatte, und trat mit ausgestreckten Händen zu mir.
»Herzlich willkommen, Frau Kusan. Ich freue mich, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben. Kommen Sie, wir setzen uns an den Kamin und trinken eine Tasse Kaffee. Ein schrecklich kalter Wind weht heute.«
Ich brachte nur ein paar Floskeln hervor, denn die Dame, die mir hier gegenübertrat, hatte wenig gemein mit der Frau, der ich im Sommer das Mieder geflickt hatte. Sie trug ein ausgezeichnet geschneidertes Kleid aus feinster, mattgrüner Wolle, und ihre mahagoniroten Haare waren sorgfältig zu einem Kranz frisiert. Ihr Gesicht war sicher nicht schön zu nennen, zu scharf sprang ihre Nase hervor, zu spitz war das Kinn, doch der Gesamteindruck war sehenswert, apart und auf jeden Fall nicht leicht zu vergessen. Sehr dezent hatte sie ihre Vorzüge mit Kosmetika betont, aber sie würde erst im Alter ihre wahre, wie gemeißelte Schönheit entwickeln.
Die Haushälterin brachte einen Servierwagen mit Kaffeekanne und einer Etagere mit feinen Gebäckstücken herein. Als sie wieder verschwunden war, fragte meine Gastgeberin: »Was kann ich für Sie tun, Frau Kusan? Ich schulde Ihnen auf jeden Fall noch einen Shawl und einen Gefallen, nicht wahr?«
Mir wurde plötzlich klar, wie sehr deutliche Worte, selbst wenn sie freundlich gemeint sein sollten, einen Menschen in Verlegenheit bringen konnten. Sie weckten in mir das Gefühl, als sei ich um das Einfordern einer Schuld, oder schlimmer noch, als Bittstellerin gekommen. Verlegen sah ich auf meine Hände und merkte, dass ich die Finger mit weißen Knöcheln verschränkt hatte. Ich löste sie und gab mir selbst einen Schubs. Offene Worte konnte ich auch äußern.
»Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich etwas zu fordern
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