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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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Chinkiang, waren befreit.
    Wegbereiter wurde von seinem Posten entfernt, als wäre er Madame Maos Abfall. Das neue Regime ernannte meine Tochter Rouge zu seiner Nachfolgerin. Sie bekam die sofortige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei angeboten. Die Entscheidung kam von ganz oben. Auf diese Weise entschädigte die Kommunistische Partei unsere Familie für Dicks Tod. Rouges einzige Bedingung war, den christlichen Glauben behalten zu dürfen. Papa wäre stolz auf seine Enkelin gewesen.
    Die allgemeine Begeisterung brachte eine unerwartete Tragödie mit sich. Zimmermann Chan betrank sich bei dem Freudenfest und erlitt einen Hirnschlag. Er lachte gerade, als es passierte, und das Lächeln gefror in seinem Gesicht. Seine Enkelkinder dachten, er stelle sich tot, und kniffen ihn in die Nase. Als dann der Arzt kam, war es zu spät.
    Rouges erste Tat als neue Amtsinhaberin der Stadt war, die Beerdigung von Zimmermann Chan abzuhalten. Die Trauerfeier fand in derselben Kirche statt, die er ein halbes Jahrhundert zuvor für Absalom gebaut hatte. In seinem Testament ernannte Zimmermann Chan Kaiser Kohlkopf zu seinem Nachfolger als Pfarrer der christlichen Kirche von Chinkiang.
    Während des Trauergottesdienstes beobachtete ich die Kinder, die alle große Augen machten. Zwar waren ihre Eltern jahrelang Mitglied in Papas Guerillakirche gewesen, doch nahmen sie das erste Mal als christliche Familie gemeinsam an einem öffentlichen Gottesdienst teil. Und es war auch das erste Mal seit Jahrzehnten, dass die Kirche offiziell ihre Tore öffnete. Neugierige Menschen kamen einfach nur zum Gucken.
    Über die Jahre war Caries Klavier unbrauchbar geworden, aber ihre Lieder hatten überlebt und wurden von Generation zu Generation überliefert. Inzwischen besaßen wir ein modernes Tonbandgerät, von dem die Kinder fasziniert waren. Es spielte ein Band mit Weihnachtsmelodien, das Lilac einem Touristen aus Hongkong abgekauft hatte. »Amazing Grace« blieb für alle Zeiten unser Lieblingslied.
    Mit geschlossenen Augen sang ich den Text mit, spürte den Geist von Carie, Absalom und Pearl. Bei der Erinnerung an die blühenden Balken und die Schmetterlinge, die Pearl und ich während Absaloms Predigt durchs Fenster fliegen sahen, musste ich lächeln.
    Kaiser Kohlkopf war kein begnadeter Prediger. Er gab sich große Mühe, Papa zu imitieren. »Ich finde keine Worte, um meine Freude darüber auszudrücken, dem Herrn zu dienen«, sagte er. »Es ist eine große Ehre für mich, aus der Bibel vorzulesen, die vom Gründungsvater dieser Kirche übersetzt wurde, Mr Absalom Sydenstricker.«
     
    Die neue Regierung bemühte sich, die Tore zur Welt zu öffnen. Wegen ihrer Verbindung zu Pearl Buck rückte Chinkiang über Nacht in den Blickpunkt der Presse.
    1981 stellte die Regierung Mittel zur Verfügung, um Pearl Bucks Wohnhaus in Chinkiang zu restaurieren, obwohl Pearls Familie nur kurze Zeit darin gelebt hatte. Ihr Elternhaus weiter unten in der Stadt, in dem sie aufgewachsen war, gab es schon lange nicht mehr. In den siebziger Jahren waren dort Betonkästen im russischen Stil entstanden. Gegen den Widerstand zahlreicher Leute setzte Rouge durch, dass Carie und Absalom als die Gründer der Mittelschule und des Krankenhauses von Chinkiang geehrt wurden.
    Mein Leben erfuhr eine dramatische Wandlung. Ich war eine »lebende Legende« und stand als solche unter dem Schutz der Regierung. Als »nationales Kulturgut« wurde ich respektiert und umsorgt und genoss viele Privilegien – ähnlich wie man kleine Pandabären behandelt. Ich zog in ein Altersheim für hochrangige Parteimitglieder, in dem mir rund um die Uhr Ärzte zur Verfügung standen.
    Um mir noch mehr Freude zu bereiten, bestellte die Regierung mir Pearl Bucks Bücher direkt aus Amerika. Ich bekam eine neue Brille und eine Lupe, damit ich besser lesen konnte. Bei der Lektüre von
Die gute Erde, Die Frau des Missionars
und
Der Engel mit dem Schwert
schluchzte ich von Anfang bis Ende. Auf jeder Seite spürte ich Pearls Liebe zu China und stellte mir ihre Frustration und Einsamkeit vor, als sie schrieb: »Meine chinesischen Wurzeln müssen sterben.« Zu der Zeit hatte sie mehr Geld, als sie ausgeben konnte, doch Madame Maos Gnade hatte sie sich nicht erkaufen können.
    »Mutter«, sagte Rouge, »meine Position in der Partei gestattet es mir, dir einen letzten Wunsch zu erfüllen, bevor dein Leben zu Ende geht. Sag ihn mir, und ich sorge dafür, dass er erfüllt wird.«
    Ich musste nicht

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