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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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darauf, alleine zu fahren.
    Der Botschafter brauchte ein paar Tage, um meine Bedingungen zu akzeptieren. Dann kaufte er mir eine Fahrkarte nach Philadelphia und reservierte mir ein Zimmer in einer Pension. Ich war aufgeregt und nervös. Im Zug konnte ich kaum stillsitzen. Die Landschaft, die an meinem Fenster vorbeizog, faszinierte mich. Der Frühling in Amerika schien eher dem maskulinen Yang-Element als dem femininen Ying von Südchina zu entsprechen. Amerikas Berge und Bäume bildeten einen Gegensatz zu Chinkiangs sanfter, bambusbewachsener Hügellandschaft und den sich wiegenden Weiden. Müsste ich die Landschaft mit einem Pinsel wiedergeben, hätte ich die amerikanische mit dicken Strichen und Tintenspritzern gemalt und die chinesische mit haarfeinen Linien und aufwendigen Details.
    Immer wieder musste ich daran denken, was Pearl mir von ihrem ersten Besuch in Amerika erzählt hatte. Wie betroffen sie war, dass nicht alle schwarze Haare hatten, und fasziniert von den unterschiedlichen Hautfarben der Menschen. Bis zu dem Moment war sie nie auf den Gedanken gekommen, keine Chinesin zu sein.
    Ich fragte mich, wie es für sie gewesen sein musste, nach Amerika zurückzukehren und inmitten ihres eigenen Volkes zu leben. Abgesehen von ihrem Gesicht und ihrer Haarfarbe, war sie eine Fremde. Unter der Haut war sie Chinesin. Ich fragte mich, wie sich die Pearl, die ich kannte, verändert hatte, und wie sie im Alter ausgesehen haben mochte.
    Die alte Dame im Zug mir gegenüber hatte eine zierliche Figur, helle Haut und blondes Haar. Hatte Pearl im Alter genauso ausgesehen? Wie hatte meine Freundin ihr chinesisches Wesen verändern müssen, um in die amerikanische Gesellschaft zu passen? Sicher war es ihr möglich gewesen, den Tonfall zu ändern, aber was war mit ihrem Geschmack und ihren Ansichten, die sie als Kind in China entwickelt hatte, als Teenager und als Erwachsene? Pearl hatte einmal gesagt, sie fühle sich reich, weil ihr mehr als eine Welt gehöre. Die Vorstellung gefiel mir, und ich hatte sie damals darum beneidet.
     
    Ich hatte kaum in der Pension eingecheckt, als mich der chinesische Botschafter anrief. Er wollte sichergehen, dass alles in Ordnung war, und schlug vor, dass ich mich ausruhte und am nächsten Tag zu Pearl Bucks Haus ging. Ich dankte ihm und sagte, dass ich nicht warten könne. Daraufhin schlug er vor, mein Gepäck in der Pension zu lassen. Am Telefon gestand der Botschafter, er sei ein Fan von Pearl Buck, und glaube, dass sie dem chinesischen Volk zur Ehre gereicht habe. Er fand es schlimm, dass Madame Mao ihren Einfluss geltend gemacht und Pearls Visumsgesuch abgelehnt hatte. »Madame Mao war wie eine tollwütige Hündin«, schloss er.
    Der Botschafter erzählte mir, in amerikanischen Büchern und Zeitungen hätte gestanden, dass Pearl vor ihrem Tod ein farbenfrohes, besticktes chinesisches Gewand getragen hatte.
    »Es hieß, Pearl habe wochenlang in einem großen Stuhl am Fenster gesessen und nach Osten gestarrt«, sagte er. »Ich frage mich, ob das, was sie gesehen hat, noch immer da ist, und mit welchem Bild vor Augen sie gestorben ist.«
    Woran hatte Pearl gedacht? Auch das hätte ich gern gewusst. Hatte sie sich ihre Kindheit in Erinnerung gerufen? War ich darin vorgekommen? Um zu überleben, hatte ich mich jahrzehntelang in die Vergangenheit geflüchtet. Oft dachte ich an den Popcornmann und daran, wie Pearl den Blasebalg betätigte und ich den Topf drehte. Es fiel mir leicht, die Augen zu schließen und alles vor mir zu sehen, wie er den schmutzigen Baumwollsack über den Topf stülpte und Pearl und ich uns die Ohren zuhielten. Ich hörte den großen Knall immer sehr real und laut. Ich konnte mir sogar den Duft des leckeren Popcorns vorstellen und Pearls Lächeln sehen, wenn wir uns eine Handvoll davon in den Mund stopften.
     
    Am späten Nachmittag betrat ich das erste Mal Pearl Bucks Haus. Gleich hinter der Tür blieb ich stehen und betrachtete den Raum. Er war genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Freundliche weiße Frauen begrüßten mich. Sie schienen es oft mit Besuchern zu tun zu haben, die kein Englisch sprachen, und schlugen mir vor, an der letzten Führung des Tages teilzunehmen. Wir kamen an eine Stelle, die »Chinesische Aussicht« genannt wurde.
    Ich hielt die Luft an, aus Angst, das Bild vor meinen Augen würde verschwinden.
    Was die Fremdenführerin nun erzählte, hörte ich nicht mehr. Es klang wie aus weiter Ferne. Ich war wie betäubt. Beim Blick durch das

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