Goldener Bambus
in einer trostlosen, felsigen Gegend, in der das ganze Jahr über Schnee lag. Die Häftlinge wurden zu schwerer Arbeit gezwungen und am Ende exekutiert. Weil ich schon so alt war, musste ich Strohmatten flechten, in denen die Toten eingewickelt wurden. Es gab keine Särge, um Holz zu sparen. Da die Matten nie reichten, arbeitete ich jeden Tag viele Stunden. Wenn ich keine zehn Matten schaffte, bekam ich nichts zu essen. Es war unmöglich, so viele zu schaffen, also hungerte ich. Auch unser Wasserverbrauch war limitiert. Jeder bekam eine halbe Tasse am Tag. Wasser zum Waschen gab es nicht.
Ich wusste nicht, wie Nixon von meiner Gefangenschaft erfahren hatte. Wahrscheinlich hatte Pearl darauf bestanden, dass er sich nach mir erkundigte. Sie wusste, wie grausam Madame Mao sein konnte, und dass ich wahrscheinlich in Schwierigkeiten steckte. Pearl musste ihn überzeugt haben, den Informationen der chinesischen Regierung über mein Wohlbefinden zu misstrauen. Wahrscheinlich hatten sich Nixons persönliche Berater nach mir erkundigt und schließlich von Rouge erfahren, dass ich im Gefängnis saß. Premier Zhou Enlai war mit Nixons Aufforderung, mich freizulassen, bei Mao vorstellig geworden, der meine Entlassung anordnete. Madame Mao hätte die Aufforderung sicher ignoriert, aber gegen Maos Entscheidung kam sie nicht an. Und für Mao zählte momentan nur eins, nämlich dass Nixon auf seiner Seite war, um Russland von einem Krieg gegen China abzuhalten.
Nach neun Monaten im Gefängnis war ich wieder frei.
34 . Kapitel
V
on Kameras umgeben, hatte Madame Mao die Attitüde einer berühmten Schauspielerin. Sie war Mitte sechzig und leuchtete wie ein Superstar. Das Revers ihrer frisch gebügelten grünen Armeeuniform schmückten zwei kleine rote Flaggen. Ihr Haar war unter der ebenfalls grünen Kappe verschwunden. Breit lächelnd stand sie zwischen ihrem Mann und Nixon. Ihr Kopf schwenkte nach rechts und links, wenn sie lachte und nickte. Betrachter des Dokumentarfilms konnten den Eindruck bekommen, dass nicht Mao, sondern Madame Mao Nixon nach China eingeladen hatte. Höhepunkt des Films war der Besuch des prächtigen Nationaltheaters, zu dem Madame Mao die Amerikaner begleitete. Dort präsentierte sie ihr Propagandaballett
Die Frauen des Roten Kommandos
. Die Menge brüllte ihren Namen.
In den vier Jahren danach wurden die Einwohner von Chinkiang gezwungen, sich diesen Film immer wieder anzusehen – als Teil der Strafe namens »Gedankenreform«. Die Stadt wurde von der Außenwelt abgeschnitten, und ich hatte keine Ahnung, dass der Lauf der Geschichte sich bald ändern würde.
Im Januar 1976 starb Premier Zhou Enlai. Es hieß, er habe seine letzten Tage damit verbracht, Mao zur Beendigung der Kulturrevolution zu bewegen. Er wollte ihn davon überzeugen, dass nur die Rettung der Wirtschaft helfen würde, das öffentliche Ansehen der Kommunistischen Partei zu retten. Als seinen Nachfolger schlug Zhou Enlai den seit Jahren im Exil lebenden ehemaligen Vizepremier Deng Xiaoping vor. Doch Mao hörte nicht auf ihn und bestand darauf, die Revolution fortzuführen. Niemand wusste, dass auch Maos Leben sich dem Ende zuneigte. Madame Mao dagegen erkannte, dass ihre Zeit gekommen war, und brachte sich in Position, um von ihrem Mann die Macht zu übernehmen.
Wie alle musste ich an den öffentlichen Selbstbezichtigungen teilnehmen. Ich war sechsundachtzig Jahre alt. Während ich hinter der Masse herlief und die Parolen schrie, lebte ich im Geiste in der Vergangenheit. In meinen Erinnerungen zu schwelgen war einfach zu meiner Lebensart geworden. Ich hatte mir nie so ein langes Leben gewünscht. Ich wusste nicht, dass Pearl 1973 friedlich gestorben war, etwa ein Jahr nach dem Einreiseverbot für China.
Eines Morgens im Oktober zog Kaiser Kohlkopf gongschlagend durch die Stadt und schrie: »Nieder mit Madame Mao und ihrer Bande!«
Alle dachten, er wäre übergeschnappt.
Wir wunderten uns, dass Wegbereiter nicht kam und Kaiser Kohlkopf verhaftete.
»Madame Mao wurde gestürzt!«, rief Kaiser Kohlkopf. »Deng Xiaoping hat die Macht übernommen!« Obwohl er sich bemühte, die Menschen davon zu überzeugen, dass er nicht verrückt geworden war, glaubte ihm niemand.
Eine Woche später kam aus Bejing eine öffentliche Bekanntmachung. Kaiser Kohlkopf hatte die Wahrheit gesagt. Madame Mao und ihre Bande waren wirklich verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden. Alle Menschen, die unter ihr gelitten hatten, auch die Einwohner von
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