Goldener Bambus
Fenster sah ich ein Abbild von Chinkiang. Mir war, als betrete ich einen meiner Träume.
Der Teich glich einem Juwel in einer hügeligen Landschaft. Die asiatischen Ahornbäume sahen aus wie riesige braune Pilze. Mandarinenten watschelten umher. Entenküken folgten ihrer Mutter und spielten im Wasser. Weiße Wolken zogen am blauen Himmel vorüber.
Wie Carie, die einen amerikanischen Garten mitten in Chinkiang angelegt hatte, hatte Pearl einen chinesischen Garten in ihrem amerikanischen Zuhause erschaffen. Ich erinnerte mich, wie schwer es für Carie war, amerikanische Rosen und Hartriegel zu züchten. Es gelang ihr zwar, die Pflanzen an das südchinesische Klima zu gewöhnen, doch sie hatte immer mit Pilzen und anderen Krankheiten zu kämpfen. So produzierten ihre Rosen Knospen, aber keine Blüten. Mit Seifenwasser und Essig tötete sie das Ungeziefer und stellte aus Holzabfällen ihre eigene Erde her. Als ihre Rosen schließlich blühten, lud sie alle zu einer Gartenschau ein.
Was Pearl wohl auf sich genommen hatte, um sich mit Erinnerungen an China zu umgeben? Spuren ihrer Mühen waren überall zu sehen. Die Steine und Pflanzen waren wie auf Bildern der klassischen chinesischen Malerei arrangiert. Ich malte mir aus, wie Pearl ihren Gärtnern chinesische Ästhetik vermittelte, und musste bei der Vorstellung lächeln, dass sie sie womöglich verwirrt hatte.
Als nächste Station der Führung besuchten wir Pearls Gewächshaus. Es war voller Kamelienbäume. Zwar hatte das Glashaus eine stattliche Größe, doch die Bäume standen so dicht gedrängt, dass es hier aussah wie in einer Baumschule. Die Fremdenführerin erzählte, Pearl Buck sei entschlossen gewesen, die Kamelienbäume im pennsylvanischen Winter zum Blühen zu bringen, so wie sie es auch in chinesischen Wintern gesehen hatte.
Es stimmte wirklich, in Südchina blühten die Kamelienbäume im Winter, auf Hügeln in ländlichen Gegenden und auch in den Städten. Chinesische Familien liebten Kamelien als Schmuck in ihrem Wohnzimmer, und Kamelien gehörten zu den beliebtesten Motiven chinesischer Künstler.
»Der Gärtner hatte vorgeschlagen, die abgestorbenen Kamelien durch amerikanische Winterpflanzen zu ersetzen, doch Pearl war dagegen«, erzählte die Führerin weiter. »Sie bestand auf ihren chinesischen Kamelien, die sie beim Schreiben inspirierten.«
Ich erfuhr, dass Pearl versucht hatte, chinesische Teebäume, Lotus und Wasserlilien zu züchten, aber ohne Erfolg. Hatte hier jemand verstanden, dass sie so in ihr Haus nach China zurückgegangen war?
Die achtzehn Kamelienbäume, die in Pearls Gewächshaus überlebt hatten, waren inzwischen voll entwickelt. Doch sie standen keinen Meter auseinander, wo einer doch mindestens drei Meter Platz um sich brauchte. So konnten sie nicht weiter wachsen. Der Anblick machte mir klar, wie sehr meine Freundin an den Bäumen gehangen haben musste. Wie eine Chinesin, hatte sie ihr Gewächshaus mit allen Formen und Farben ihrer geliebten Kamelien gefüllt. Den Stämmen nach waren sie über zwanzig Jahre alt. Ich schloss die Augen und sah meine Freundin, wie sie morgens mit der Gießkanne umherlief, Unkraut zupfte, die Erde lockerte und düngte. Sie liebte es, mit den Händen zu arbeiten. Ihre Fingernägel waren bestimmt ganz schmutzig, wie bei den chinesischen Bauern.
Die Führung offenbarte, dass Pearl Buck ihr Haus immer wieder umgestaltet hatte. Für ihre Küche im chinesischen Stil ließ sie Wände herausreißen, Pfosten und Balken versetzen. Sie hatte sich einen langen Holztisch bauen lassen, mit langen Bänken auf jeder Seite.
»Wo jetzt die Küche ist, waren einmal vier Schlafzimmer«, erzählte die Fremdenführerin und zeigte auf die Stellen, wo früher die Wände waren. »Pearl wollte unbedingt eine große Küche haben.« In ihrer Kindheit war die Küche Pearls Spielplatz gewesen, wo sie den Geschichten von Wang Ah-ma und den anderen Bediensteten lauschte. Und wir beide hatten in der Küche Versteck gespielt.
Mein Blick fiel auf die eindrucksvolle Tür. Die ins Holz geritzten chinesischen Schriftzeichen bedeuteten »Kostbares Kleinod«, Pearls Name auf Chinesisch. Amerikanische Kunst sah ich nicht, auch keine Bilder von Jesus Christus. Stattdessen gab es im ganzen Haus chinesische Kunst – wunderschöne indigofarbene Teppiche, chinesische Glasflaschen mit Wolkenmustern als Glückssymbole. An den Wänden hingen chinesische Tusche- und Pinselzeichnungen und Kalligraphien. Unter einer einzelnen
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