Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
Vom Netzwerk:
einmal gemerkt, wenn er ihn beleidigte. Für die Menschen in Chinkiang hatte Dick sein tragisches Ende verdient, weil er Mao gefolgt war. Papa und Zimmermann Chan hatten Dick nie verstanden, seine Zurückweisung des Christentums machte ihn in ihren Augen verdächtig. Aber Dick war gegen alle Religion gewesen. Wie Mao hatte auch er behauptet, keinen Gott zu haben. Und doch hatte er am Ende genau das getan, was er hasste, nämlich Mao angebetet.
    Pearl war die Einzige gewesen, die uns beide, Dick und mich, verstand, genauso wie sie auch China verstand. Vielleicht hatte Nixon sie deshalb als Begleiterin mitnehmen wollen.
    Ich war sicher, dass Pearl Hsu Chih-mo nicht vergessen hatte. Doch ich würde ihr sagen, dass Hsu Chih-mo Glück gehabt hatte, weil es besser für ihn war, tot zu sein. Er hätte unter der Kulturrevolution furchtbar gelitten. Es wäre ihm schlimmer ergangen als Dick.
     
    Wir waren so müde vom Warten im Haus, dass wir fast schliefen, als Zimmermann Chans Stimme ertönte.
    »Sie sind weg!« Schwer atmend kam er zur Tür herein.
    »Wer ist weg?«
    »Die Amerikaner.«
    »War Nixon hier?«, fragte Rouge.
    Nickend versuchte Zimmermann Chan, wieder zu Atem zu kommen.
    »Wir haben die Fremden gesehen«, sagte Doppeltes Glück David, »aber man hat sie so schnell wieder weggeführt, wie sie aufgetaucht sind.«
    »Wo ist Pearl?«, fragte ich.
    Zimmermann Chan schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, sie ist nicht mitgekommen.«
    Ich kämpfte gegen die große Enttäuschung an, riss mich zusammen und fragte: »Heißt das, Pearl ist nicht nach China gekommen, oder ist sie nur nicht mit nach Chinkiang gekommen?«
    »Sehen Sie sich das an.« Zimmermann Chan zog ein Stück Papier aus der Tasche. »Es trägt Madame Maos Unterschrift.«
    Miss Pearl Buck:
    Wir haben Ihren Antrag für ein Einreisevisum erhalten. Da Sie in Ihren Schriften die Menschen im Neuen China und seine Führer lange Zeit falsch dargestellt, beschmutzt und verunglimpft haben, bin ich befugt, Sie wissen zu lassen, dass wir Ihrem Wunsch, China zu besuchen, nicht entsprechen können.
    Es war eine chinesische Neujahrstradition, den Rahmen der Haustür mit unterschiedlichen Spruchbändern zu schmücken. Die beliebtesten drückten den Wunsch nach Glück, Gesundheit und Reichtum aus. Doch in diesem Jahr hefteten alle Familien in Chinkiang die gleichen Sprüche an ihre Türen wie ich.
    Der Spruch auf der rechten Seite lautete: Berge stehen für immer aufrecht.
    Auf der linken Seite stand: Es gibt genug Feuerholz für alle.
    Oben am Querbalken stand: Solange es dauert.
    Das war der stille Protest der Stadt, ein Ausdruck unserer Gefühle für die Freundin im Exil.
    Am nächsten Morgen erhielten wir eine überraschende Nachricht: Die amerikanischen Gäste hatten sich eine weitere Führung durch Pearl Bucks Heimatstadt gewünscht. Zimmermann Chan wurde beauftragt, allen Einwohnern zu befehlen, die Sprüche sofort von ihren Türen zu entfernen.
    Aber die Leute reagierten nur langsam, und so standen sie noch immer auf den Leitern und rissen die Sprüche herunter, als die Amerikaner erschienen.
    Ich vergaß alle Vorschriften, Warnungen und die Gefahr, verhaftet zu werden, und ging zur Stadtmitte.
    Die Menschenmenge folgte mir.
    Pearl sahen wir nicht, aber einen Ausländer mit großer Nase, von Wachmännern umringt. Das musste Nixon sein, folgerten wir. Der Präsident redete mit den Leuten, fragte vielleicht, was sie arbeiteten. Die Menschen sahen den Mann mit dem breiten Lächeln staunend an. Nixon erkundigte sich bei der jungen chinesischen Übersetzerin nach dem Inhalt der Sprüche.
    Die Übersetzerin blickte erschrocken drein und machte Ausflüchte.
    Verwirrt meinte Nixon, er hätte noch eine Menge über die chinesische Kultur zu lernen.
    In Begleitung der chinesischen Offiziellen, der Polizei und seiner Leibwächter ging Nixon weiter.
    Wir folgten schweigend in einiger Entfernung. Rouge stieß zu mir. Die Menschenmenge wuchs.
    Nixon wurde zu seinem Wagen geführt. Plötzlich blieb er stehen, als hätte er etwas vergessen, und fragte seine Übersetzerin: »Kannten Sie zufällig Pearl Buck?«
    »Nein, ich kannte sie nicht«, erwiderte die junge Frau schnell.
    »Können Sie bitte die Leute hier fragen, ob jemand Pearl Buck kannte?«
    »Es tut mir leid, das geht nicht.« Die Übersetzerin schüttelte den Kopf.
    »Könnten Sie das nicht bitte für mich tun?«, beharrte Nixon freundlich.
    Die Übersetzerin ergriff das Ende ihres Zopfes und biss hinein. Ihre Angst war

Weitere Kostenlose Bücher