Goldener Bambus
verweigerte, war sie sich ihrer Macht sicher und glaubte, die Nachfolge ihres Mannes als Herrscherin Chinas anzutreten. Doch sie hatte sich geirrt. Nach Maos Ableben wurde sie verhaftet und zum Tod verurteilt, keine vier Jahre nach Nixons Besuch.
Der zweite Zettel betrifft das Grab Deiner Mutter. Fast hätte es die Kulturrevolution nicht überstanden. Maos Teenager-Mob kam, um es zu zerstören, doch Lilac hatte den Stein schon entfernt und sie ausgetrickst. Mit anderen Worten, was die Rote Garde zerstörte, war nicht das Grab Deiner Mutter. Inzwischen hat die Stadt Chinkiang Carie den Status zugewiesen, der ihr gebührt. Sie gilt offiziell als Gründerin der Mittelschule von Chinkiang, und ihr Geist wird alljährlich bei der Gedenkfeier im Frühling gefeiert und geehrt.
Der dritte Zettel betrifft Dich. Das Haus, in dem Deine Mutter zuletzt gewohnt hat, ist jetzt die Pearl Buck Residenz . Ich höre Dich sagen: »Aber das war nicht mein Haus!« Das stimmt zwar, aber eine Residenz mit Deinem Namen muss vorzeigbar sein. Du musst verstehen, dass für Chinesen der Ort, den Dein Geist bewohnt, ein Tempel sein muss. Fotos, Briefe und Bücher von Dir können dort besichtigt werden. Die Ausstellung Deiner Kalligraphien gefällt mir nicht, weil es nicht Deine Pinselstriche sind – die Schriftzeichen wurden von einem Professor des College of Art and Calligraphy in Bejing nachgebessert. Das gehörte mit zu Deiner Transformation zur Göttin, damit die Leute Dich verehren können. Ich habe mich gar nicht erst bemüht, etwas dagegen zu unternehmen, denn es war immer noch besser, als Dich eine amerikanische Kulturimperialistin zu nennen.
Der vierte Zettel betrifft die Menschen, die Dich kennen und die sich ihr Leben lang gefragt haben, wie es Dir in Amerika geht. Ich beginne mit Dick, weil er Dich gut kannte und das schlimmste Schicksal hatte. Er war zu nah bei Mao und starb einen furchtbaren Tod. Bitte verzeih mir, dass ich Dir keine Einzelheiten darüber berichten kann. Dick wusste, dass Hsu-Chih-mo Dich geliebt hat. Er wollte Dir persönlich gratulieren, als Du den Nobelpreis gewonnen hast. Es war uns verboten, ein Telegramm nach Amerika zu schicken. Dick meinte, Hsu-Chih-mo wäre sehr stolz gewesen. Er hätte auf seinen Händen getanzt. Es wird Dich freuen zu hören, dass Hsu-Chih-mos Gedichte jetzt sehr populär sind. Die jungen Leute verehren ihn als einen Dichter, dessen Stimme zu ihrer Generation spricht. In den Zeitungen stehen Geschichten über seine vermeintlichen Affären, als wäre es gestern gewesen, und natürlich liegen sie mit ihren Spekulationen immer daneben.
Papa hat bis zu seinem Tod die Kirche geleitet. Er wurde zum kämpfenden Engel wie Absalom, nur dass er es in Guerillamanier tat. Bestimmt haben Zimmermann Chan und Lilac Dir gefehlt. Dass Zimmermann Chan von Absalom bekehrt und zum Christen wurde, hast Du gewusst, aber vielleicht nicht, dass er nach Maos Machtübernahme ein Kommunist wurde. Später kehrte er zurück zu Gott und arbeitete für Papa. Ich glaube nicht, dass Amerikaner solch ein Leben verstehen würden, aber Du schon. Du hast in China gelebt und weißt, wie es dort zugehen kann.
Lilac vermisst Dich so sehr, dass sie nicht aufhört, von Dir zu sprechen. Mit ihren über neunzig Jahren ist sie der Star der Langlebigkeit von Chinkiang. Ihre drei Söhne führen das Geschäft ihres Vaters weiter. Es ist zu schade, dass Du nicht gesehen hast, wie sie Absaloms Kirche, die jetzt Christliche Kirche von Chinkiang heißt, wiederaufgebaut haben. Lilac streitet noch immer mit Wegbereiter, dem Sohn der Bettlerin Soo-ching, der früher einmal Konfuzius hieß. Du hattest die beiden vor ganz langer Zeit in Deinem Garten entdeckt. Um Madame Mao zu imponieren, hatte er alle verraten. Soo-ching wollte ihren Sohn enterben, doch Papa überredete sie, ihm zu verzeihen, weil sie sonst nicht in den Himmel käme.
Meine Tochter Rouge kennst Du nicht, aber sie weiß alles über Dich. Zur Zeit ist sie Bürgermeisterin von Chinkiang und verantwortlich für die Vergabe des Pearl-Buck- und Hsu-Chih-mo-Stipendiums. Sie hat eine leibliche Tochter und die zwei Töchter ihres Mannes aus erster Ehe adoptiert. Alle meine Enkelinnen heißen mit dem zweiten Vornamen Pearl – Sonne Pearl, Wonne Pearl und Mond Pearl.
Erinnerst Du Dich noch an Kaiser Kohlkopf, den Kriegsherren? Er ist jetzt ein passionierter Christ und unser Pfarrer, was Dich sicher schockiert, so wie es viele andere schockiert hat. Wie Dein Vater ist Kaiser
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