Goldener Bambus
entdeckte die amerikanische Flotte nahe der Jangtse-Mündung und es gelang mir, ihrem Befehlshaber Ihren Brief zu überbringen. Er hat ein Kriegsschiff geschickt.«
»Gott hat unsere Gebete erhört«, sagte Absalom mit seiner lauten Predigerstimme.
Pearl starrte auf den Fluss, dann sah sie Lilac zu, die Zimmermann Chans Blasen an den Füßen versorgte.
Das Kriegsschiff fuhr am Ufer entlang. Aus den Kanonenmündungen schossen Flammen auf, und in den Hügeln gab es weitere Explosionen. Wieder und wieder bebte die Erde. Ich sah Pearls Lippen die Worte formen: »Danke, Amerika.«
24 . Kapitel
I
hr blieben vierundzwanzig Stunden, um sich zu verabschieden. Sie würde entwurzelt und nach Amerika verpflanzt werden, in ein Land, das sie Heimat nannte, aber kaum kannte. Dieser letzte Tag in China sollte sie ihr ganzes Leben lang verfolgen, auch wenn sie sich noch so oft sagte: »Ich muss meine chinesischen Wurzeln rausreißen.«
Das Leben ließ ihr keine Wahl. Der amerikanische Kapitän wollte nicht warten. Sein Schiff war buchstäblich das Letzte, das China verließ. Pearl hatte nur ein paar Stunden, um vierzig Jahre ihres Lebens zusammenzupacken.
Ich tröstete mich damit, dass unsere Trennung temporär sei, zumal wir seit unserer Kindheit schon öfter getrennt waren – als sie nach Shanghai und Amerika ging. Und immer war sie zurückgekommen. Ich zweifelte keinen Moment daran, dass wir uns wiedersehen würden.
Pearl sagte, dass sie sich nirgendwo anders zu Hause fühlte, nicht einmal in Amerika, wo sie geboren war. Wenn sie von ihrer Heimat sprach, meinte sie China.
»Wie könnte ich woanders leben, wo doch das Grab meiner Mutter hier ist?«, hatte sie einmal gesagt.
Pearl hatte gelernt, die Realität zu akzeptieren. Sie wusste, dass Kaiser Kohlkopf und seinesgleichen zurückkommen und sie töten würden. »Es hat auch sein Gutes, nach Amerika zu gehen«, bemerkte sie, »Carol wird dort medizinisch besser versorgt sein.«
»Und was ist mit Lossing?«, fragte ich.
»Ich habe nichts mehr von ihm gehört«, erwiderte Pearl. »Er hat es nicht für nötig gehalten, uns eine Nachricht zukommen zu lassen oder herauszufinden, wie es seiner Tochter geht.«
Der amerikanische Kapitän bestand darauf, dass Pearl und Grace ihr ganzes Hab und Gut zurückließen. So blieb Caries Klavier hier, aber für Caries Nähmaschine wurde eine Ausnahme gemacht.
Absalom versammelte seine Gemeindemitglieder in der Kirche und verkündete, dass Zimmermann Chan ihn hier in Nanjing vertreten würde. Papa leitete weiterhin die Kirche in Chinkiang.
Doch Zimmermann Chan hatte kein Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten. Mit Tränen in den Augen gestand er: »Alter Lehrer, ich bin unfähig, es so gut wie Sie zu machen.«
»Gott hat mich wissen lassen, dass Sie hier meine Arbeit fortführen sollen.«
Und falls es Schwierigkeiten gab, fügte Absalom hinzu, würde Papa ihm helfen.
Papa war gerührt – er konnte kaum glauben, dass sich trotz seines Verrats Absaloms Verhalten ihm gegenüber nicht geändert hatte.
Der Kinderchor sang, und Absalom hielt seine letzte Predigt. Es war das erste Mal, dass Lilacs jüngster Sohn, Dreifaches Glück Salomon, den Chor leitete. Der junge Mann hatte die Schönheit seiner Mutter geerbt. Carie hätte seine wunderbare Stimme geliebt. Alle wünschten Pearls Familie eine sichere Überfahrt nach Amerika.
Ich würde mich um Pearls Garten kümmern. »Im Frühling bringe ich frische Blumen auf Caries Grab«, sagte ich ihr.
»Ich komme bald zurück«, versprach Pearl.
Wenn ich gewusst hätte, dass wir uns in diesem Moment das letzte Mal sehen sollten, hätte ich sie länger und fester gedrückt. Ich hätte mich bemüht, mir ihr Aussehen einzuprägen, ihre Kleidung und ihren Gesichtsausdruck. Und vielleicht hätte ich versucht, ihr die Abreise auszureden.
Aber ich wusste es nicht. So versuchten wir beide, den Abschied kurz und schmerzlos zu halten. Je schneller wir getrennt waren, desto eher konnten wir uns darauf konzentrieren, wieder zusammenzukommen. Pearl gehörte nicht zu den Menschen, die sich ihrer Traurigkeit lange hingaben. Carie hatte sie gelehrt, bittere Tränen runterzuschlucken und hoffnungsvoll zu sein – immer nach vorne zu schauen.
Alle zusammen machten wir uns auf zum Fluss. Lilac hatte ihre Kinder dabei und Soo-ching ihren Sohn Konfuzius.
Wir trugen das Gepäck der Familie zu dem kleinen Boot, das sie auf das Kriegsschiff in der Flussmitte bringen würde.
Das riesige Schiff
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