Goldener Bambus
was sie meinte. Madame Mao sah anders aus als bei unserer ersten Begegnung in Yan’an. Doch sie war noch immer beeindruckend und hatte die Haare tiefschwarz gefärbt. Ihr Blick sagte: »Ich habe Macht.« Körperlich war sie in guter Verfassung, aber sie war keine Schönheit mehr. Das dunkle Brillengestell nahm ihr die Weiblichkeit, obwohl die Augenbrauen noch immer dünn wie Garnelenfühler waren.
»Ich sehe, dass du hungrig bist«, sagte sie und zeigte ihre weißen Zähne. »Möchtest du etwas zu Mittag essen?«
Bevor ich antworten konnte, klatschte sie in die Hände.
Die Tür am anderen Ende des Raums ging auf.
»Ein Privatbankett ist für dich vorbereitet«, sagte Madame Mao fröhlich, als handle es sich um eine Party.
Die Diener traten ein und stellten sich entlang der Wand auf.
Madame Mao kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu und nahm meine Hände. »Lass uns ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen führen.«
»Wir befinden uns in einem Kulturkrieg gegen die von Amerika angeführten westlichen Länder«, erklärte Madame Mao pathetisch. Ihre dünnen Lippen bebten. Wieder ergriff sie meine Hände und drückte sie. »Wir werden die amerikanischen Kulturimperialisten besiegen. Wir werden sie an den Rand des Universums jagen. Sie werden keine Zeit haben, auch nur Luft zu holen!« Sie zitterte, als wäre ihr kalt.
»Entschuldigung …« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Mit erhobener Hand bedeutete sie mir zu schweigen. »Sobald es uns gelungen ist, übernehmen wir die kapitalistische Propagandamaschine. In den Zeitungen der ganzen Welt werden unsere Stimmen gehört und unsere Ansichten gedruckt werden. Stell dir mal vor – die
New York Times
, die
London Times
. Der Sieg des Weltproletariats! Der Vorsitzende wird stolz auf deine Mithilfe sein!«
»Ich kann dir nicht ganz folgen, Madame …«
»Iss nur, iss.« Madame Mao schob mir einen Teller mit Entenbraten hin.
»Ich würde gern wissen, wie mein Auftrag lautet«, beharrte ich.
»Entspann dich, liebe Genossin.« Madame Mao lächelte vergnügt. »Glaub mir, ich würde dir keine Aufgabe übertragen, die du nicht erfüllen könntest.«
»Und wie sieht sie aus?«
»Deine Aufgabe ist ganz einfach. Schreib zwei Artikel, einen mit dem Titel: ›
Die gute Erde
ist eine Giftpflanze‹, und der andere heißt: ›Ausbeutung: Pearl Bucks vierzig Jahre langes Teufelswerk in China‹. Der Untertitel lautet: ›Eine Kindheitsfreundin offenbart die Verbrechen‹.«
Obwohl ich nicht wusste, was genau passiert war, hatte ich das Gefühl, dass Pearl – abgesehen von ihrer Weigerung, Maos Politik in China zu befürworten – Madame Mao persönlich beleidigt haben musste. Viele Jahre später erfuhr ich, dass Pearl gebeten worden war, Madame Maos Biographie zu schreiben. Seit
Die gute Erde
in Hollywood verfilmt wurde, träumte Madame Mao davon, dass die Literaturnobelpreisträgerin ein Buch über sie schrieb. Mit der typischen Selbstgewissheit trat ihr Agent mit Pearl Buck in Kontakt. Der Titel des Buches stand schon fest: »Die rote Königin«, wobei die Figur der Madame Mao die Eleganz und die Ausstrahlung einer Scarlett O’Hara aus
Vom Winde verweht
haben sollte.
Pearls Weigerung kam postwendend. Madame Mao sann auf Rache und schwor, Pearl zu vernichten.
»Pearl Buck greift nicht nur den Vorsitzenden Mao in ihren Schriften an, sie hat auch chinesischen Dissidenten geholfen, nach Amerika zu fliehen«, erklärte mir Madame Mao.
Ich bat mir etwas Zeit aus, um ihre Worte »verdauen« zu können.
»Es geht nicht darum, ob du es tun willst oder nicht«, sagte Madame Mao, wobei sie ihr Kinn Richtung Decke hob. »Es geht um den Zeitpunkt, an dem du die Waffe zum Angriff lieferst.«
In einem eigens dafür bereitgestellten Raum des Militärkomplexes sah ich meinen Mann und meine Tochter wieder. Zuvor hatte man mir die Strafe vor Augen geführt, sollte ich Madame Maos Bitte nicht nachkommen: Ich würde weiter im Gefängnis bleiben und vielleicht sogar exekutiert. Bisher hatte mein Alter mir noch keine Probleme bereitet, doch jetzt fühlte mein Körper sich müde und krank an. Ich war über siebzig, und die Vorstellung, in einer kalten Zelle zu sterben, machte mir große Angst.
»Du darfst das nicht als Verrat ansehen«, versuchte Dick mich zu überzeugen. »Du schadest Pearl nicht, wenn du sie denunzierst. Sie wird das verstehen. Sie ist nicht in China. Wahrscheinlich seht ihr euch nie wieder. Pearl wird vermutlich nicht einmal erfahren, dass
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