Goldener Bambus
du die Kritik geschrieben hast.«
»Aber Gott wird es wissen«, sagte ich weinend.
»Bedenke die Umstände«, sagte Dick. »Wir müssen unser Volk vor Pearl Bucks Einfluss schützen. Ihre Bücher haben dem Ruf der Kommunistischen Partei weltweit Schaden zugefügt. Pearl ist nicht mehr die Freundin von früher.«
»Aber leider kenne ich
Die gute Erde
«, erwiderte ich. »Vor dreißig Jahren habe ich das handgeschriebene Manuskript gelesen. Pearl Buck beleidigt darin nicht die chinesischen Bauern, wie Madame Mao behauptet. Im Gegenteil, sie zeigt, wie wir wirklich sind.«
»Deine persönlichen Gefühle trüben dein politisches Urteilsvermögen«, warnte Dick.
»Zur Hölle mit meinem politischen Urteilsvermögen!«
Rouge ergriff Partei für mich.
Dick war wütend. »Niemand stellt sich gegen Madame Mao.«
»Ich kann das nicht tun«, sagte ich.
»Erfinde irgendwelche Geschichten«, schlug Dick vor. »Lüge!«
»Ich kann der Welt nicht erzählen, dass Pearl und ihre Familie böse Menschen waren.«
»Das musst du aber, um zu überleben, Weide. Später kannst du Pearl ja erklären, dass es nicht so gemeint war.«
Ich sah meinen Mann an, und eine große Traurigkeit ergriff mich. Lügen war Dicks zweite Natur geworden. Ich wünschte, ich könnte mein Fähnchen so wie er in den Wind hängen.
»Ich will meiner Tochter kein Beispiel für Verrat sein«, beharrte ich.
»Deinetwegen findet Rouge keinen Mann, der sie heiratet«, erwiderte Dick. »Und sie ist schon über dreißig!«
Seine Worte trafen mich hart. Ich gab mir die Schuld, Rouges Leben ruiniert zu haben. Viel zu oft war das Herz meiner Tochter gebrochen worden. Junge Männer verliebten sich auf den ersten Blick in sie, doch sobald sie herausfanden, dass ihre Mutter eine Volksfeindin war, mieden sie sie wie einen Virus. Denn mit Rouge zusammen zu sein würde für sie lebenslanges Ungemach und Verfolgung bedeuten.
Meine Gefängnisstrafe wurde um zehn weitere Jahre verlängert und dann auf fünf reduziert, weil ich Dicks Frau war. Ich kam in eine kleine Stadt nahe Tibet in ein Arbeitslager. Tagsüber pflanzte ich Getreide und Baumwolle auf Feldern an, nachts durchsuchte ich den Abfall nach Essen und kämpfte gegen Kälte, Hitze oder Ungeziefer. Unsere Familie war im ganzen Land verstreut – Dick lebte im Norden, Rouge im Süden und ich im Nordwesten. Dick und Rouge besuchten mich abwechselnd alle drei Monate und zum Jahreswechsel. Nie beklagte sich Rouge, doch die leidvollen Erfahrungen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie war eine ruhige Frau, reifer als ihre Altersgenossinnen. Nach ihrem Abschluss in Medizin an der Universität von Bejing durfte sie nicht praktizieren und verdingte sich in einer Kleiderfabrik als Arbeiterin. Dick wollte mir nicht sagen, was seine Strafe war, doch ich erfuhr es trotzdem: Man hatte ihn degradiert und auf einen bedeutungslosen Posten in der Provinz versetzt. Nach einem Jahr holte Mao ihn zurück. Dick arbeitete hart, um Maos Vertrauen zurückzugewinnen.
Rouge und ich versuchten, nach vorn zu schauen. Wir waren nicht die einzige Familie, die litt. Millionen Menschen teilten das gleiche Schicksal. Ende 1969 zeigte sich, dass die Kulturrevolution eine der destruktivsten Episoden in Chinas langer Geschichte war.
Nach fünf Jahren im Arbeitslager wurde ich dorthin zurückgeschickt, wo ich hergekommen war: nach Chinkiang. Der Ortswechsel wurde als Fortsetzung meiner Strafe angesehen, denn ich sollte bis zum Ende des Lebens durch körperliche Arbeit umerzogen werden. Ich war fast achtzig Jahre alt.
Rouge wurde vor die Wahl gestellt, zu bleiben, wo sie war, oder mit mir zu kommen. Sie entschied sich für Letzteres und kündigte ihre Arbeit. Sie hatte sowieso kaum genug verdient, um satt zu werden.
In einem langsamen Zug fuhren wir nach Hause. Meine Haut war sonnenverbrannt, und mein Rücken schmerzte ständig. Ich konnte nicht mehr aufrecht gehen, denn meine Wirbelsäule, meine Gelenke und Beine waren geschädigt. Aber mein Geist war ungebrochen. Ich war stolz, den Preis für meine Anständigkeit bezahlt zu haben, und konnte ehrlich behaupten, Gott niemals verraten zu haben und von Ihm niemals verlassen worden zu sein.
Dick hatte keine Wahl und musste an Maos Seite in Bejing bleiben. Fünfzehn Jahre lang war er Chinas oberster Propagandachef und Redenschreiber sowohl für Maos Reden und Aufsätze als auch für die von Madame Mao. Als er um meine Freilassung bat, damit wir zusammen sein konnten, antwortete Madame Mao
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