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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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gestemmt. Ich habe ihn nicht kennen gelernt, weil er im Krieg geblieben ist. Meine Mutter rückt weiter. Sie hat keine Schuhe an. Meine Mutter hockt barfuß auf der Straße. Sie legt die Bilderrahmen in einer Reihe auf die Fahrbahn. Sie zieht eine Spur aus Bilderrahmen. Wie bei Hänsel und Gretel. Nur dass es dort Steine sind anstatt Bilder und ein Wald, keine Straße. Gleich geht überall Licht an. Alle Rollläden gehen hoch und die Nachbarn starren. Meine Mutter hat eine Spur aus Bilderrahmen über die Straße gelegt. Sie nimmt einen Bilderrahmen und steht auf. Sie hebt den Rahmen über den Kopf. Sie schmeißt ihn auf die Straße. Das Glas splittert. Ich kann es klirren hören. Es ist laut. Es hallt durch die Straße. Sie schreit etwas, das ich nicht verstehe. Sie heult. Sie tritt auf einen anderen Bilderrahmen. Sie tritt in die Scherben. Sie zertrampelt die Bilderrahmen, einen nach dem anderen.
    Meine Mutter geht mit offenem Morgenmantel ins Haus zurück. Ich kann das Nachthemd sehen. Sie lässt die Bilderrahmen und die Splitter und das Handtuch auf der Straße liegen. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, weil sie auf den Boden guckt. Ich gehe ihr entgegen. Ich gehe die Treppe hinunter.
    Meine Mutter guckt mich nicht an. Sie hinterlässt eine Spur auf den Fliesen. Ich hocke mich auf die Treppe.
    Mama, sage ich, nachdem ich auf der Straße die Scherben zusammengefegt und in die Mülltonne gekippt habe. Warum hast du die Bilder zertrampelt?
    Meine Mutter sitzt in der Küche. Sie raucht. Ihre Füße sind blutig. Ich setze mich ihr gegenüber an den Küchentisch. Ich schaue meiner Mutter beim Rauchen zu. Du blutest, sage ich.
    Ich weiß, sagt meine Mutter.
     
    29
    Das ist mein Zimmer, sagt René. Ich bin mit zu René gegangen. Ich darf bei René mit mittagessen. Das ist netter als bei mir, weil René Geschwister hat. Er hat zwei Schwestern, die jünger sind als er. Frank ist drei Jahre älter. Im Zimmer von René steht ein Etagenbett. Das kenne ich von der Klassenreise. René heißt Müller mit Nachnamen.
    Teilst du dir das Zimmer?, frage ich.
    Ja, sagt René. Das ist Frank und mein Zimmer.
    Ich stelle mir vor, dass es gut ist, sich das Zimmer zu teilen. Da ist man nicht so allein und kann sich nachts noch Geschichten erzählen.
    Und, wie ist das?, frage ich. Wie ist das, sich das Zimmer zu teilen?
    Geht so, sagt René.
    Ich gucke mir den Teppichboden an. Man kann den Teppichboden nicht richtig erkennen, weil so viel Zeug darauf liegt, Kassettenhüllen, Hefte und Klamotten. In der Ecke lehnt der E-Bass an der Wand, mein E-Bass. An den Wänden hängen Poster, AC/DC- und Iron-Maiden- und KISS-Poster, aber auch Motorräder und über dem oberen Bett ein Poster mit einer Frau mit Brüsten. Frank hat das obere Bett. René schläft unten.
    Ich gehe zum Fenster. Man kann auf die Autobahn gucken. René wohnt in einem Hochhaus mit acht Stockwerken. Man guckt von höher oben als bei mir. Man guckt über die Lärmschutzmauer hinweg. Man kann die Autos beobachten und welche mit einer bestimmten Farbe zählen. Das habe ich früher auch gemacht. Bevor die Lärmschutzmauer gebaut wurde. Jetzt kann ich nur noch die Lärmschutzmauer angucken. Die Wohnung von Müllers liegt im vierten Stock. Da ist der Blick natürlich besser als bei uns.
    Wo ist denn dein Bruder?, frage ich.
    Keine Ahnung, sagt René.
    Kinder, essen, ruft Frau Müller.
    Das Mittagessen gibt es bei Müllers im Flur. Die Küche ist zu klein. Da kann man nicht drin essen. Dafür ist der Flur größer als bei uns. Bei Müllers steht der Esstisch im Flur. Das gibt es sonst nirgends. Ich setze mich und bin erst einmal still. Wenn ich bei fremden Leuten zu Besuch bin, bin ich meistens still. Erstens weiß ich nicht, was ich sagen soll, und zweitens gehört sich das so. Die eine Schwester von René erzählt, dass ein Junge aus ihrer Klasse einen Minigolfball verschluckt hat. Frau Müller füllt mir auf. Dirk hat mir erzählt, dass sie eine Alkoholikerin ist. Alkoholikerin bedeutet, dass sie immer Alkohol trinkt. Es ist eine Krankheit. Eine Nachbarin von uns hat einmal nachts im Spar-Markt die Scheibe eingeschlagen, weil sie eine Alkoholikerin war, und die Polizei hat sie dabei erwischt.
    Da sieht man jetzt aber nichts von, von dem Alkoholikerinsein bei Frau Müller.
    Auf meinem Teller liegen drei kleine runde Frikadellen mit einer weißen Soße. Dazu gibt es Kartoffeln. René und die Schwestern essen schon.
    Guten Appetit, sage ich. Ich gucke mein Essen an.
    Das sind

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