Goldener Sonntag
neutralisieren. Das werden sie jedoch, wenn dieser Fall eintritt, nicht allzu lange tun, und man ist gut beraten, sich sofort aus der Nähe des Pfeifers zu entfernen. Insbesondere weil … äh …«
»Was?«, hakte Susi nach.
»Es können Fälle von Selbstentzündung auftreten, wenn sie der konzentrierten Zauberei des Pfeifers ausgesetzt werden«, sagte Doktor Scamandros. »Das heißt, wenn der Ton zu nahe kommt.«
»Wollen Sie damit sagen, sie werden Feuer fangen?«, fragte Blatt. Argwöhnisch betastete sie die Papierkugel in ihrem linken Ohr und runzelte die Stirn.
»Es handelt sich dabei eher um einen explosionsartigen Feuerstoß«, erläuterte Doktor Scamandros. »Nichts, was ein Pfeiferkind umbringen würde. Trotzdem, falls man den Pfeifer hört, ist es auf jeden Fall ratsam, sich von ihm fernzuhalten.«
»Na toll«, murmelte Blatt. »Können Sie mir sagen, ob ich die Dinger überhaupt brauche? Ich bin nämlich kein Pfeiferkind und würde eine Explosion in meinem Gehörgang bestimmt nicht überleben.«
Doktor Scamandros betrachtete Blatt nachdenklich.
»Hmmm. Ich glaube, die Musik des Pfeifers hat beträchtliche Macht über Sterbliche im Allgemeinen, wenn man bedenkt, dass er mit ihr die Kinder überhaupt erst hierher gebracht hat«, meinte er. »Aber da du der Leutnant Hüter bist, könnte es tatsächlich ein größeres Risiko bedeuten, die Ohrstöpsel zu tragen.«
»In Ordnung«, sagte Blatt. Sie nahm die Ohrstöpsel wieder heraus und steckte sie in die lächerlich kleine und enge Vordertasche ihrer weißen Hose.
»Ist der Aufzug, der uns hochbringt, bereit?«, erkundigte sich Susi.
»Äh, ich bin nicht sicher«, antwortete Doktor Scamandros. »Zwar hatte ich einen so hergerichtet, dass er ins Obere Haus fährt, aber Dame Primus hatte mir nicht gesagt, für wen oder wie viele er benötigt wird. Ich schätze, es wird eine kleine Erweiterung nötig sein –«
»Alles klar, dann macht hin und weitet ihn aus!«, sagte Susi. »Giac, du machst auch die Flatter und gehst ihm zur Hand!«
»Wie bitte?«, fragte Giac und blickte sich vergeblich nach Flügeln um.
»Du gehst mit Doktor Scamandros und hilfst ihm«, übersetzte Blatt.
»Ah, dacht ich’s mir doch!«, sagte Giac. »Hatte es bloß vergessen!«
Er eilte Scamandros hinterher.
»Wo hast du den denn her?«, fragte Blatt verwundert.
»Aus dem Oberen Haus«, antwortete Susi. »Giac ist ein guter Kerl, bloß ein bisschen vergesslich; sein Selbstvertrauen muss ein wenig aufpoliert werden.«
»Also, wo ist jetzt Arthur?«, wollte Blatt wissen. »Ich habe ihn zuletzt auf der Erde gesehen, aber er wollte zurück ins Haus.«
»Ich erzähl’s dir auf ’m Weg zum Aufzug«, sagte Susi. Sie hob die Stimme und wandte sich an die versammelten Räuber. »Alle mal herhör’n! Wir werden ins Obere Haus hochzischen und Doktor Scamandros und Oberst Giac helfen, ein paar Aufzüge aufzumachen, damit die Armee durchkommen kann. Wahrscheinlich werden wir gegen Samstags Bande und die Neunichtse vom Pfeifer kämpfen müssen, aber wenn wir’s fertigbringen, dass sie gegeneinander kämpfen, wär das noch besser. Irgendwelche Fragen?«
Ein Pfeiferkind im Vordergrund hob die Hand. »Wie nennt man ’nen Bürger mit ’nem wunden Fuß?«
»Keine Ahnung«, sagte Susi. »Wie nennt man denn ’nen Bürger mit ’nem wunden Fuß?«
»Na ja, ich weiß das auch nich«, sagte das Pfeiferkind. »Deshalb hab ich ja gefragt. Hab gehört, wie jemand im Aufzug die erste Hälfte von dem Witz erzählt hat, aber den Rest hab ich nicht mehr mitgekriegt.«
»Weiß das irgendjemand?«, fragte Susi in die Menge. Blatt stöhnte und raufte sich die Haare, denn sie konnte nicht glauben, dass sie im Begriff war, mit einem Haufen uralter Geistesgestörter, die wie Kinder aussahen und den Humor von Siebenjährigen besaßen, auf eine unglaublich gefährliche Mission zu gehen.
Niemandem war die tatsächliche Pointe bekannt, obwohl es mehrere Vorschläge gab, darunter »Wie man will, denn er kann ja nicht schnell genug laufen, um einen zu fangen«. Es wurden sogar noch ein paar andere Witze zum Besten gegeben (zum Beispiel: »Wie nennt man ’nen Bürger, der von ’nem Neunichts-Wurfspieß getroffen wurde? – Spießbürger!«).
»Am besten, wir fragen Doktor Scamandros danach«, beendete Susi die Diskussion. »Sonst noch Fragen? Darüber, was wir vorhaben, meine ich?«
Sie wartete ein paar Sekunden, aber es meldete sich niemand mehr.
»Dann mal los!« Susi machte eine lässige
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