Goldfalke (German Edition)
Ziegelhaufen zerfallen, einen weiteren Teil hatte der Sand fast gänzlich verschluckt, doch der Rest schien noch halbwegs bewohnbar.
Von wem oder was auch immer.
Direkt vor den Mädchen kam ein riesiger Bau in Sicht, wenn auch schräg, als wäre das Fundament auf der einen Seite abgesackt. Tapfer verteidigten die glasierten Kacheln auf der Außenfassade ihre verblassenden Erdfarben gegen das ewige Nagen des sandigen Windes, doch der hatte bereits so viel von der Oberfläche abgefressen, dass man das ursprüngliche Weinrankenmuster nur noch erahnen konnte.
Hinter dem Gebäude streckte sich ein grauer Steinpfeiler in den Himmel. Sein oberes Ende bildete einen teilweise erhaltenen Sockel. Was auch immer einst darauf gestanden hatte, war abgestürzt. Vielleicht war es die Frauenskulptur mit dem aufwändigen Kopfputz, die ein paar Schritte entfernt auf dem Rücken lag, bis zur Hüfte verschüttet.
Zu Kianas Erleichterung gab es keine Anzeichen von Skorpionen oder Dschinns. Das Einzige, was sich hier bewegte, war der Staub, den der Wüstenwind aufwirbelte. Die völlige Abwesenheit von allem Lebendigen verlieh den Ruinen etwas Erhabenes. Wie bei einer Grabstätte.
„So , wie das öde Kaff aussieht, ist es mit dem Zimmerservice sicher nicht weit her“, meinte Nesrin. „Komm, Baski, such die Bibliothek! Hoffentlich müssen wir sie nicht aus dem verdammten Sand buddeln!“
Kiana schaute sich nach allen Seiten um und setzte ihr Küken auf ihre rechte Schulter. „Wo sind die bösen Dschinns?“
Nesrin zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich gibt es die gar nicht, und die Gerüchte sind nur dummer Aberglaube.“
Im Schatten des großen schiefen Gebäudes stiegen sie ab und bewegten sich an dessen Wand entlang. Dabei stolperten sie mehr als sie gingen, denn der Untergrund rutschte ständig unter ihren Füßen weg. Baski musste hoppeln wie ein Hase, um voran zu kommen.
Und plötzlich waren sie da, die Dschinns. Hunderte - nein, es mussten Tausenden sein.
Sie kamen von links, von rechts und im Flug von oben. Knurrend, heulend, zischend, geifernd, fletschend. Überall tauchten keifende Fratzen auf, gezückte Krallen und aufgerissene Mäuler mit tödlichen Zähnen. Oder lautlose Dämonen ohne Münder und Ohren, dafür aber mit boshaften Augen. Automatisch drückten sich die Mädchen gegen die Wand hinter ihnen, um wenigstens von dort geschützt zu sein.
Ein Stof ffetzen flatterte herbei. Es war ein schwarzer Tschador - ein Ganzkörperschleier wie die Burka, doch mit Sehschlitzen statt einem Stoffgitter. Dieser Tschador hier hielt sich aufrecht und wirkte dennoch leer. Bis man ihm in die Sehschlitze schaute. Denn von dort blickte einem blanker Hass entgegen.
Irgende twas zitterte.
Zuerst dachte Kiana, es wären ihre schlotternden Knie, doch dann erhob sich der Sand vor ihr, türmte sich auf, riese lte auf sie und Nesrin nieder, und ein Wurm, so dick und so lang wie der Stamm einer Palme, schob sich daraus hervor. Sein dunkler Schlund war weit aufgerissen.
Baski wuchs zur Großkatze und sträubte grollend das Nackenfell. Wie eine Peitsche sauste der Wurm auf die Mädchen nieder. Baski sprang los, krallte sich beidseitig in den sich windenden Körper und biss ihn in zwei Teile. Als die beiden zuckenden Enden über den Boden rollten, wichen die übrigen Dschinns zurück. Sie wirkten vorsichtig, aber nicht so beeindruckt, wie es sich Kiana wünschen würde. Die Wurmteile vergruben sich im Sand, und die übrigen Dämonen rückten wieder näher.
Kiana wagte nicht, sich auch nur um Haaresbreite zu bewegen. Umso unfassbarer erschien es ihr, wie schnell Nesrin ihre Stimme wieder unter Kontrolle hatte: „Unter so vielen wundervollen Ifrit und Afrit, wie ihr es seid, gibt es sicher ein paar, die sprechen können, oder?“ Kaum merkbar rückte sie von einem langhalsigen Monster ab, dessen Gesicht nur aus Zähnen zu bestehen schien. „Nettes …“, sie schluckte, „… Gebiss. Respekt, Alter!“
Einige der Dschinns, die den Mädchen am nächsten standen, machten Platz für ein paar, die nach vorne drängten.
„Was wollen denn zwei nette Mädchen so allein in Qalakar?“ Diese Worte kamen von einem kahlen, dürren, gebückten Männlein. Es hatte die Größe eines zehnjährigen Kindes und lugte hinter einem pesthässlichen alten Weib hervor. Seine drei Glubschaugen verschoben ständig ihre Lage im Gesicht und beäugten gleichzeitig Baski und die Mädchen. Aus seinem Mund ragten drei spitze Zähne hervor, wobei der einzelne
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