Goldfalke (German Edition)
Zahn mitten im Oberkiefer genau in die Lücke zwischen den beiden im Unterkiefer passte. Es bedurfte nicht viel Vorstellungskraft, um sich auszumalen, wie mühelos diese Zähne das Leben aus einem Opfer herausstanzen konnten. „Und, was noch wichtiger ist“, fuhr dieser Dschinn fort, „was lässt euch hoffen, Qalakar lebend wieder zu verlassen?“
Der Tschador wehte näher heran. „Schlampen, die ihr Gesicht nicht verhüllen, müssen leiden!“, schrillte eine Frauenstimme im Inneren des Stoffs.
Nesrin versuchte ein Lächeln, was sogar ihr nicht ganz gelang. „Selbstverständlich wären wir angemessen gekleidet gekommen, um euch berühmte Ifrit und Afrit zu treffen. Wir haben aber einen Teil unserer Kleidung verloren, als wir gegen eine Horde Riesenskorpione kämpften.“
„Ausreden “, keifte der Tschador, „verlangen Bestrafung!“
Als es ringsum zustimmend zischte, hieb Baski mit seinen Tigerkrallen nach dem Tschador und zerfetzte ihn rasch. Die übrigen Dschinns heulten auf und wichen ein Stück zurück, verharrten jedoch in einem Halbkreis um die Eindringlinge.
„Ewig könnt ihr nicht so stehen bleiben“, bemerkte das Männlein mit den wandernden Augen folgerichtig. „Irgendwann werdet ihr vor Durst ohnmächtig, und dann kippt auch eure ekelhafte Höllenkatze um und kann uns nicht mehr aufhalten.“
„ So, wie du redest, Alter, könnte man ja fälschlicherweise denken, ihr würdet uns gegenüber unangenehm werden wollen.“ Nun meldete sich Nesrins üblicher frecher Tonfall wieder vollständig zurück. „Lebend sind wir viel unterhaltsamer.“
Die hässliche Alte, die bei genauer Betrachtung gar nicht so scheußlich aussah, krächzte eine Art Widerspruch. Was sie hässlich machte, war einzig die Gehässigkeit in ihrem Blick.
Nesrin löste sich von der Wand in ihrem Rü cken. „Ich bin Nesrin von den Simurgh. Ein Ruf von mir, und mein Ziehvater wird die Simurgh auf euch hetzen. Darum schlage ich vor, dass ihr meine Freundin und mich in Ruhe lasst!“
Alle drei Augen des Männleins rückten auf seine Stirn und fixierten Nesrin. „Wir sind Dschinns. Auch ein Schwarm Simurgh kann uns nicht töten. Nach spätestens drei Tagen erholen wir uns von jeder Verletzung. Selbst unsere werte Sittenwächterin hier.“ Achtlos trat er auf einen der schwarzen Fetzen, die von dem Tschador noch übrig waren.
Ein listiges Lächeln umspielte Nesrins Lippen. „Schon klar, mein Hübscher! Aber die Simurgh könnten, was von eurer Stadt übrig ist, dem Erdboden gleichmachen. Nicht ein Stein würde auf dem anderen bleiben, und ihr würdet eure Bleibe verlieren. Ein Wort von mir reicht aus, dass die Simurgh hier anrücken. Und wenn die sauer sind, das sage ich euch, machen sie alles platt.“
Beunruhigtes Geknurre schwoll an unter den Dschinns und zeugte davon, dass die Simurgh selbst ihnen Respekt einflößten. Doch der Dreiäugige gab sich noch nicht geschlagen: „Du lügst! Die Simurgh schätzen altes Kulturgut. Qalakar ist das Denkmal einer vergangenen Zeit. Jeder Simurgh würde sich lieber jede einzelne Feder ausreißen, als so etwas zu zerstören!“
Nesrin schaute um sich. „Das hier nennt ihr Kultu rgut? Ich sehe nur einen Haufen Dreck und halb zerfallene Ruinen. Kein Simurgh würde dieser Schrotthalde hier eine Träne nachweinen.“ Sie legte einen Zeigefinger an ihr Kinn. „Das wäre natürlich anders, wenn es die legendäre Bibliothek von Qalakar wirklich gäbe. Aber die ist ja längst zu Staub zerfallen.“
„ Und wenn es die Bibliothek doch gibt?“
„ Das würde eure Behausung vor den Simurgh schützen. Allerdings gibt es für euch eine noch viel größere Bedrohung, als es die Simurgh jemals sein könnten.“
„Und was sollte das sein?“
Die Verschlagenheit in seiner Stimme wurde von Nesrin locker überboten: „Wie wär’s mit einem Handel?“
„Warum sollten wir uns auf einen Handel mit euch einlassen?“
„Weil unsere Gesellschaft euch etwas Abwechslung bietet, solange eure Herren und Herrinnen euch nicht brauchen und ihr hier in Schrottcity versauert. Und weil mein Part des Handels darin besteht, euch von der großen Bedrohung zu erzählen, die in der Wüste auf euch lauert und von der ihr offenbar nicht die geringste Ahnung habt.“
Geduckt kam das Männlein hinter der Hässlichen hervor , blieb aber außerhalb der Reichweite von Baskis Pranken. „Und was wäre unser Part des Handels?“
„Zeigt uns eine Schriftrolle aus eurer Bibliothek! Sagen wir …“, Nesrin ringelte
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