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Goldfalke (German Edition)

Goldfalke (German Edition)

Titel: Goldfalke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Aidan
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easy“, meinte Nesrin in ihrer typischen Dreistigkeit. „Also einfach den Zauberspruch aufsagen und mit kochendem Wasser herumspritzen.“ Sie schaute hinüber zu den Palastbewohnern. „Hat jemand zufällig einen Wasserkocher oder so was dabei?“
    Sayed nahm eine mit Wasser gefüllte Tonschale entg egen, die sein Dschinn ihm reichte. „Das Wasser muss durch die Kraft des Zauberspruchs zum Kochen gebracht werden.“
    „Ach so.“ Nesrin kratzte sich den Nacken. „Wenn ich so drüber nachdenke, dann sollte doch besser Ki das erledigen. Denn genau genommen war sie es, die den Schrieb gefunden hat.“
    „D ann halte das so, dass ich es lesen kann!“ Der Großwesir schob den Papyrus in Nesrins Hände und die Wasserschale in Kianas. Gleichzeitig unterdrückte er Kianas scheuen Protest, indem er ihre unwilligen Finger mit seinen knochigen umschloss, so dass sich aus seinen und Kianas Handflächen eine weitere Schale um das Wasser bildete. „Keine Sorge, meine Tochter, sprich mir nach!“ Er beäugte den aufgerollten Papyrus, den Nesrin ihm hinhielt. „Bein heb dich! Sehne streck dich! Fuß tritt auf und leg deine Spur!“ Seine Augen fokussierten sich auf Kiana. „Sage diesen Satz so lange immer wieder, bis das Wasser kocht!“
    Die Angst, vor den Augen des gesamtem Palastes etwas falsch zu machen, ließ Kianas Sti mme untragbar piepsig werden. Bei ihrem Versuch, den Spruch zu wiederholen, verhaspelte sie sich zweimal. Jedes Mal korrigierte sie der Großwesir auf eine so geduldige Weise, dass Kiana nicht anders konnte, als sich mehr anzustrengen: „Bein heb dich! Sehne streck dich! Fuß tritt auf und leg deine Spur!“
    Da Sayed ihr aufmunternd zulächelte und die Wärme seiner alten Hände sie beruhigte, legte sie so viel Wollen wie möglich in ihre Stimme und begann erneut: „Bein heb dich!“ Der Befehl juckte in ihren eigenen Oberschenkeln. War sie in ihrem bisherigen Leben nicht selbst wie einer der Versteinerten gewesen? Zur Unbeweglichkeit verdammt durch das, was ihr Onkel Abdullah und Tante Shabnam als unumstößliche religiöse Wahrheiten eingeimpft hatten.
    „ Sehne streck dich!“ Hier in der Klaren Welt hatte sich Kiana gestreckt, war über sich hinausgewachsen und hatte ihr unbewegliches, versteinertes Selbst weit zurückgelassen.
    „Bein heb dich! Sehne streck dich! Fuß tritt auf und leg deine Spur!“ Sayed murmelte die Worte mit ihr. Ava auch.
    „Bein heb dich!“ Nach und nach stimmten alle mit ein. Besonders die Stehenden Weisen nahmen den Spruch auf, sangen ihn, beteten ihn, manche brüllten ihn sogar, bis die Worte im Gras vibrierten als ein Klang der Macht.
    „Sehne streck dich!“ Irgendetwas … passierte.
    „ Fuß tritt auf und leg deine Spur!“ Hatte Kiana nicht auch eine Spur gelegt, indem sie die Schriftrollen aus dem dunklen Loch in der versunkenen Bibliothek gezogen und hierher gebracht hatte?
    Ava s Dschinn nahm Nesrin die Schriftrolle ab und hielt sie hoch, während die Haushofmeisterin Nesrins Hände unter die von Sayed und Kiana schob und ihre eigenen wiederum darunter legte. Als Ava sich seitwärts in Bewegung setzte, gingen der Großwesir und die Mädchen mit, ohne die Wasserschale loszulassen. Die Stimmen ringsum summten in ihnen, in der Luft, im Wasser in der Schale. Kiana hatte keine Ahnung, ob es ihr angespanntes Zittern war, das die Wasseroberfläche kräuselte, oder ob das Wasser tatsächlich brodelte.
    „Bein heb dich! Sehne streck dich! Fuß tritt auf und leg deine Spur!“ Ava - oder war es Sayed? - irgendeiner dieser ungleichen Wasserträger steuerte auf den einzigen Stehenden Weisen zu, der nicht stand, sondern lag und der stets einen lockeren Spruch parat hatte. Jetzt hatte Basidamesch nichts auf den Lippen außer einer offenmundigen Fassungslosigkeit, als Ava ihn mit dem Wasser aus der Schale bespritzte. Dann war die Dreiergruppe aus jungen Männern dran, dann das stumme Wesen mit dem Ziegenkörper und dem Fischkopf. Nacheinander besprengte Ava jeden der Versteinerten, bis die Kriegerin Tahiramis als Letzte an der Reihe war. Die um die Wasserschale verschlungenen Hände lösten sich voneinander, und da die Stimmen ringsum verstummten, konnte man das Knacken hören.
    Das Knacken des brechenden G esteins.
    Bei dem dicken Mann mit dem riesigen Turban war die Veränderung zunächst kaum erkennbar, denn der bauchige Fels, in dem er steckte, behielt seinen ausladenden Umriss bei und wechselte lediglich Farbe und Muster. Aus Steingrau wurde Blau, aus

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