Goldfalke (German Edition)
Ki, schnell nach unten! Worauf warten wir noch?“ Nesrins Begeisterung ließ kein Zaudern zu. Beim Gehen flocht Kiana ihr Haar zu einem Zopf und folgte ihrer Freundin und Baski die Haupttreppe hinunter.
In der Eingangshalle eilten drei von Avas Dschinns umher, beladen mit Decken, verschiedenen bauchigen Flaschen und etwas, das nach Verbandsmaterial aussah. Die blutrote Färbung des Bodenmosaiks hob sich scharf ab von den hellblauen Beinen der Dschinns. Das Mosaik zeigte eine Frau, die aus zahlreichen Wunden blutete. Der Schmerz in ihrem verzerrten Gesicht schien den ganzen Raum auszufüllen. Der Palast litt an seinen Verletzungen. Und an denen seiner Menschen.
Die Tür zum großen Saal stand halb offen. Zw ischen den dünnen Ava-Dschinns hindurch sah Kiana, dass diesmal keine Sitzkissen auslagen, auf denen entspannte Menschen bei Gebäck und Tee angeregte Gespräche führten. Heute glich der Raum einem Feldlazarett mit vielen Betten und Bewusstlosen und Elina, die von einem Verletzten zum nächsten eilte und an Sebnissa Anweisungen erteilte.
„Komm schon, Ki!“ Nesrin rannte nach draußen, hob ihren Kopf und schirmte die Augen mit einer Hand ab. Kiana trat neben sie, als die mächtigen Körper der Simurgh über sie hinwegflogen und dabei die Sonne verdunkelten. Hinter den Mädchen strömten etliche Palastbewohner nach draußen, um die Ehrfurcht gebietenden Ankömmlinge zu bestaunen, doch davon ungerührt flogen die Simurgh in Richtung Schlachtfeld, angeführt von Miro, der ständig: „Angriff! Angriff!“ krächzte.
Kiana ließ den Falken auf der Palastmauer landen, damit er den beängstigenden Riesenv ögeln nicht in die Quere kam, und sah durch seine Augen, wie die Simurgh Jagd auf die wenigen lebenden Skorpione und Ghule machten, die sich noch auf der Ebene vor dem Palast befanden. Der Schrecken, den die gigantischen Vögel verbreiteten, holte letzte Kraftreserven aus den Fliehenden heraus. Die Verwundeten, die nicht schnell genug vorankamen, wurden von den Raubtierpranken der Simurgh gepackt und vorwärts in die Menge der vorauseilenden Skorpionkrieger geschleudert.
Ungeduldig hüpfte Nesrin auf und ab. „Sag schon, Ki ! Was machen die Simurgh?“
„Sie jagen die Feinde.“ Soeben wurde Kiana Zeuge, wie einer der Riesenvögel einen brülle nden Ghul durch die Gegend warf, wie ein anderer Simurgh den Ghul in der Luft auffing, mit ihm voranflog und ihn wie ein Geschoss auf die Skorpione warf, die sich hinter einer großen Düne in Sicherheit bringen wollten. Danach wendeten die Schreckensvögel und flogen auf den Palast zu. Nur der weiße Geier blieb zurück und landete auf dem Kadaver eines Ghuls. Vorsorglich holte Kiana den Falken, der unter den darüber hinwegbrausenden Simurgh aussah wie ein Spatz, in das Fläschchen an ihrem Hals zurück.
Die Äste der Obstbäume und die Wedel der Datte lpalmen neigten sich respektvoll unter dem Wind, den die mächtigen Flügel entfachten, als die Simurgh auf dem Vorhof vor dem Hauptgebäude landeten. Nesrin sprang auf einen von ihnen zu, der so groß war wie ein Dromedar, und schmiss sich mit ihrem ganzen Körper gegen ihn. „Hi, Papi, echt cool, dass du vorbeikommst!“ Sie vergrub ihr Gesicht im braunen Brustgefieder des Riesenvogels, der seinen Kopf senkte und ungeheuer liebevoll seinen tödlich aussehenden Schnabel an Nesrins Locken rieb.
Als der Simurgh sprach, klang die Stimme fast menschlich, unterlegt mit ei nem tiefen Raubtiergrollen: „Ich habe mir ernste Sorgen gemacht, meine Tochter. Geht es dir gut?“
Nesrin hob ihren Kopf aus dem Gefieder heraus. „Ich könnte eine Mütze voll Schlaf vertragen, aber sonst ist alles okay.“ Sie löste sich von dem Simurgh und umarmte den nächsten. „Oh wow, du bist auch dabei, Oma!“
„Selbs tverständlich!“ Der als „Oma“ bezeichnete Vogel hatte ein etwas helleres Gefieder als Nesrins Ziehvater und eine etwas kratzigere Stimme. „Wenn unser Menschentöchterchen in Gefahr ist, kann mich nichts aufhalten.“
Nesrin strahlte selig, während sie der Reihe nach alle anderen Simurgh begrüßte und sie mit wirren Einzelheiten der vergangenen Schlacht überschüttete. Zugleich schleppten mindestens zehn von Avas Dschinns Teppiche und Kissen an, auf denen sich die Simurgh hoheitsvoll niederließen. Zwei weitere Ava-Dschinns servierten Glasschüsseln mit Wasser, in denen Rosenblätter schwammen. Durstig tranken die Simurgh daraus.
Da die umstehenden Palastbewohner ebenfalls auf den Teppichen und Kissen
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