Goldfalke (German Edition)
Mutter, die auf der Bettkante saß. „Wie geht es dir, meine süße Ki?“
„Gut … gut!“, stammelte Kiana und hoffte, dass es stim mte.
Elina strich ihr über das sandverkrustete Haar. „Dann kann ich euch jetzt allein lassen, dich und deinen Goldfalken.“ Ächzend wie eine alte Frau erhob sie sich. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Vermutlich hatte sie die ganze Nacht durchgemacht. „Ich muss zurück zu den Verletzten. Ruh dich noch ein bisschen aus, meine Tochter!“ Ihr Blick tunkte Kiana in eine Liebe hinein, die den ganzen Raum mit Glück ausfüllte.
„Die Schlacht …“, keuchte Kiana, „… Damon , die Skorpione …“
„Dank dir wurden sie besiegt. Mach dir keine Sorgen! Sie können uns nichts mehr anh aben.“ Nach einem Kuss auf die Stirn ihrer Tochter drehte sich Elina um und verließ das Zimmer.
D as Licht der aufgehenden Sonne verlieh dem Falken, der dösend auf der Kleidertruhe hockte, einen rotgoldenen Glanz. Dieser war nicht so stark wie heute Nacht, kaum mehr als ein Schimmer, aber dennoch sichtbar. Vor allem an den Flügelspitzen.
Sonst war niemand hier. Der Pfeilteppich stand aufgerollt in der Ecke. Jemand hatte ihn nicht nur vom Schlachtfeld geborgen, sondern, wie es aussah, sogar den Sand aus ihm herausgeklopft.
Kiana setzte sich auf und versuc hte vorsichtig, ihre Füße aus dem Bett zu schwingen und auf den Boden zu stellen. Zu ihrer Erleichterung gehorchten ihre Muskeln wieder. Zumindest halbwegs. Sie ging auf die Toilette, legte die sandige Kleidung ab, die sie noch immer anhatte, duschte, trank Wasser aus der Leitung und putzte die Zähne. Danach zog sie frische Sachen an - einen seidigen orangefarbenen Rock und das dazugehörige Oberteil. Was für ein Luxus, diese Auswahl zu haben unter all den kostbaren Gewändern! Oder überhaupt eine Auswahl zu haben!
Auf einmal stürmte Nesrin herein , gefolgt von Baski. „Beeil dich, Ki! Ich glaube, die Simurgh kommen. Zillah hat was Großes gesehen, das vom Gebirge herfliegt.“ Sie trug ihre Kleidung von gestern. Wenn sie die ganze Nacht über aufgeblieben war, so sah man ihr das nicht an. Die Aufregung, die in ihren Gesichtszügen aufblitzte, verlieh ihr etwas Munteres.
Eigentlich fühlte sich Kiana nicht bereit, sich schon wieder etwas Neuem zu stellen. Dennoch sagte sie: „Na schön, ich schau mal nach, was draußen los ist. Von hier aus kann man ja nichts Genaues erkennen.“ Sie öffnete das Fenster, schickte den Falken hinaus und spähte durch seine Augen.
„ Ich hab vorhin schon mal vom Teppich aus über die Palastmauer geguckt“, meinte Nesrin, „und nur lauter Skorpionärsche von hinten gesehen. Der Rückzug der Monster scheint mir ziemlich chaotisch abzulaufen. Als hätte keiner von denen eine Peilung, wo’s langgeht.“
„Ja, genauso scheint es.“ Kiana sah hinab auf ein Meer von Leichen. Abertausende von dürren Skorpionbeinen und gespreizten Scheren ragten gespenstisch himmelwärts wie die geknickten Stoppel eines abgeernteten Weizenfeldes. Aber auch Graugewandete und Ghule lagen hingestreckt im Sand. Angetrieben von den unermüdlichen Ifrit und Afrit hetzte ein Teil der noch halbwegs lebendigen Skorpione in die Wüste, ein anderer Teil in Richtung Gebirge, und ein weiterer Teil irrte planlos hin und her. Acht Palastkrieger patrollierten auf Flugteppichen entlang der Palastmauer und beobachteten die Flucht der Feinde. Die Mauer war stellenweise noch immer mit Avas Dschinns geflickt, wobei sich die Löcher bereits zu schließen begannen wie schnell heilende Wunden.
„Siehst du die Simurgh, Ki?“
Kianas Aufmerksamkeit wurde von einem Gesicht angezogen, das aus der Menge der flüchtenden Feinde herausstach. Weil es sich im Laufen umdrehte, um den Falken mit stechenden Augen zu fixieren. Wie Magneten zogen diese Augen Kiana an, so dass der Falke ganz automatisch tiefer flog, auf den Hyänen-Dschinn und seinen schadenfrohen Blick zu. Die Hyäne bleckte die Zähne zu einem zynischen Grinsen, dann wandte sie sich um und biss einem humpelnden Ghul in den Arm.
Nesrin packte Kiana am Ärmel. „Was ist jetzt mit den Simurgh?“
Der Falke drehte sich Richtung Norden und entdeckte sieben riesige Greifvögel am Himmel. Sie hatten Raubtierpranken und eine Flügelspannweite wie ein Kleinflugzeug. Der weiße Geier zwischen ihnen wirkte wie eine Fliege zwischen Adlern. „Ja, ich sehe sie“, hauchte Kiana beeindruckt. „So schnell, wie die fliegen, sind sie in wenigen Minuten da.“
„ Dann los,
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