Goldfalke (German Edition)
genau das prophezeit“, sagte einer der Simurgh. Er hatte eine daumengroße Scharte am Schnabel. „Hegtest du Zweifel an deiner eigenen Wahrsagung?“
„ Wenn man es übertrieben engstirnig betrachtet“, sprach die Seherin gedehnt, „habe ich nicht unbedingt genau das geweissagt, was letztlich zu unser aller Verwunderung geschehen ist.“
„ Du sprichst in Rätseln, federlose Schwester.“ Nesrins … Oma trat von einem sehnigen Fuß auf den andern. „Bisher hat mich immer die genaue Übereinstimmung zwischen deinen Weissagungen und den nachfolgenden Ereignissen verblüfft. Und diesmal war es anders, sagst du?“
Der Blick der Herrscherin taxierte Fatima noch stechender als jener der Simurgh-Oma. „Eine berechtigte Frage.“
Erneuter Flügelschlag fächelte frische Morgenluft gegen Kianas Gesicht, als Miro herbeiflog und unmittelbar vor der Herrscherin landete. Einer von Avas Dschinns brachte ihm eine Schale Rosenwasser, ein anderer einen lederbespannten Hocker, auf dem sich der weiße Geier mit betonter Würde niederließ. Rings um seinen Schnabel und stellenweise auch an seinem Hals befanden sich bräunliche Schlieren, über deren Herkunft Kiana nicht näher nachdenken wollte. Die Begrüßungsworte der Palastbewohner nahm er huldvoll entgegen. Nachdem er einen Schluck Rosenwasser getrunken hatte, krächzte er schließlich: „Entschuldigt meine kleine Verspätung, liebe Freunde! Aber nach dem langen Flug, auf dem ich zu eurem Wohle größten Gefahren trotzte, musste ich mich rasch an einem hastigen Imbiss laben, um wenigstens einen Teil meiner verausgabten Kräfte wiederzubeleben.“
Er senkte seinen nackten Kopf bis auf die Höhe seiner Beine und beäugte sein Spiegelbild kritisch in der Glasschale mit Rosenwasser vor ihm. „Die Erschöpfung lässt meine Wangen ganz welk aussehen, findet ihr nicht auch?“ Ruckartig richtete er sich auf, um herzhaft zu rülpsen. „Oh pardon!“
S ein Kopf folgte der Bewegung eines Ava-Dschinns, der mit einem Tablett vorbei schritt, wobei sich der lange Geierhals wie ein Tau verdrehte. „Sind noch mehr von den gesottenen Schlangen da? Sie duften gar köstlich.“ Miros Hals drehte sich wieder zurück. „Aber sagt an, Brüder und Schwestern: Wie seid ihr nur so lange ohne mich zurechtgekommen?“ Nun drehte sich sein Kopf nach hinten, wo noch immer ein Loch in der Palastmauer klaffte. „Offenbar nicht besonders gut.“
„Ein Glück, dass wir dich wiederhaben !“, bemerkte der Großwesir mit einem schicksalsergebenen Schmunzeln.
„ In der Tat!“ In einer dramatischen Geste legte sich Miro die gespreizten Schwungfedern seines linken Flügels über die Brust. „Ein Glück fürwahr, dass ich die Simurgh rechtzeitig herführte, um die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Habt ihr gesehen, wie meine Simurgh-Freunde dem Krabbelgetier Beine machten? Was für ein denkwürdiger Triumph! Eure Dankesbezeugungen nehme ich später entgegen, nachdem ich ein paar von jenen gesottenen Schlangen genossen habe.“ Und schon stellte einer von Avas Dschinns ein Tablett mit dem Gewünschten vor ihn.
„Nun, meine weitgereiste Freundin“, wandte sich Oma erneut an Fatima, „deine Antwort steht noch aus. Scheiterte deine Weissagung dieses Mal wirklich?“
Die Seherin druckste sichtlich herum, was für sie sehr ungewöhnlich war. „Die Zukunft ist nicht unveränderlich vorhersehbar wie Miros Appetit. Was ich bei meinen Visionen wahrnehme, sind Wahrscheinlichkeiten der Zukunft. Sie können sich verändern, wenn die Pfade, die zu ihnen führen, nicht beschritten werden.“
„ Und welche Wahrscheinlichkeit“, bohrte die Herrscherin nach, „hast du genau gesehen, als du mich davon überzeugt hast, Kiana in den Palast zu holen, obwohl meine schwindenden Kräfte es nicht erlaubten, die Verantwortung für einen weiteren Bewohner zu übernehmen? Nur weil du geweissagt hast, dass Kiana Damon besiegen wird, habe ich zugestimmt, sie derart zu gefährden.“ Sie warf einen fast schuldbewussten Blick auf die Simurgh und zwang ihrer Stimme den üblichen Tonfall königlicher Gelassenheit auf: „Aber wir sollten das später unter vier Augen besprechen und nicht unsere Gäste damit belästigen.“
„ Niemals ist die Wahrheit eine Last.“ Nesrins Ziehvater wandte den Kopf, um Fatima besser ins Auge fassen zu können. „Hoffentlich auch nicht für dich, liebe prophetische Schwester.“
Abwehrend hob Fatima die gespreizten Hände. „Nie habe ich behauptet, Kiana würde Damon besiegen.
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