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Goldfalke (German Edition)

Goldfalke (German Edition)

Titel: Goldfalke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Aidan
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gehauen, und an dessen Ende schien ein spärliches Licht. Irgendetwas huschte seitlich über die Wand, ohne dass Kiana erkennen konnte, um was es sich handelte.
    Vielleicht war das auch besser so.
    Etwas blockierte den Weg. Eine Tür. Nesrin öffnete sie und trat mit Kiana hinaus in eine lichtdurchflutete, glitzernde Welt. Zwischen glänzenden Felsen, weißen Säulen und Steinskulpturen von seltsamen Wesen tummelten sich noch seltsamere lebendige Gestalten. Eine Kreatur mit vier Flügeln schlief auf einem Felsvorsprung, eine Art Gazelle mit goldenen Hörnern trottete müßig vorbei, ein mannshoher weißer Nebel wehte wie ein Wirbelwind heran und verschwand genauso schnell wieder hinter der steinernen Statue eines Esels. Unzählige Edelsteine schillerten in allen Farben und Größen um die Wette. Sie bedeckten in Massen den Boden.
    In großen Massen.
    Ratlos schaute Kiana um sich. „Und welcher davon ist nun mein Dschinn?“
    „ Bleib locker, Ki! Baskis Spezialität ist das Finden von allem möglichen Kram. Und Baski ist echt gut darin.“ Schmusend flüsterte Nesrin Unverständliches in das Fell des Kätzchens, woraufhin es von ihrem Arm sprang und zielstrebig eine Anhöhe hinauf rannte. Nesrin und Kiana stolperten auf dem lockeren roten Geröll hinterher, das bei genauer Betrachtung aus Rubinen bestand. Was hier alles so achtlos herumlag, konnte ein ganzes Land Jahrzehnte lang ernähren. Kurz dachte Kiana daran, so viel wie möglich davon einzupacken und mitzunehmen.
    Doch sie wagte es nicht, denn wer wusste, was dann passierte! Das Letzte, was sie wollte, war, eine dieser Kreaturen zu verärgern, von denen sie und Nesrin bisher nicht beachtet worden waren.
    Bisher .
    Kiana keuchte hinter Nesrin den Hügel hoch. Als sie den Gipfel erreichten, waren beide außer Atem. Eine weite, graue, flache Steinwüste erstreckte sich vor ihnen. Nesrin sah sich unschlüssig um, während das Kätzchen zielstrebig weiterlief. „Dein Dschinn ist also hier oben, Ki? Das ist ja noch schlimmer, als ich dachte!“
    Hier funkelte kein einziger Edelstein. Alles bestand aus nacktem Fels, zum Teil durchsetzt von Rinnen und Löchern, in denen graue Würmer unterschiedlicher Größe und Dicke hausten. Manche dieser Würmer krochen wie Raupen vorwärts, andere besaßen Stummelbeine, eines sogar einen einzigen Stummelflügel, der gewiss nicht zum Fliegen taugte. Kiana verspürte eine Mischung aus Abscheu und Mitleid. „Was sind das für Viecher?“
    „ Diese miese Gegend hier wird Ebene der Frauen-Dschinns genannt.“ Nesrins Stimme klang ungewohnt betrübt. „Das hier ist wohl der Beweis dafür, wie schlecht es den Frauen in diesem Teil der Trüben Welt gehen muss, wenn ihre Dschinns so unterentwickelt sind. Sayed sagt immer, wenn der eigene Wille sich nicht entfalten und wachsen darf, kann es der zugehörige Dschinn auch nicht.“
    „Wie groß ist diese Ebene?“ Sie erstreckte sich weiter als Kianas Sicht reichte. Bedrückend endlos.
    „ Keine Ahnung. Ich war bisher nur ein einziges Mal hier oben. Das hat mir auch gereicht. Findest du es nicht auch echt deprimierend hier?“ Mit sichtlichem Ekel betrachtete Nesrin ein Felsloch, das mit einem ganzen Knäuel dieser Stummelwürmer vollgestopft war. „Dürft ihr Frauen in der Trüben Welt wirklich keinen eigenen Willen entwickeln?“
    Alte Gedanken durchfluteten Kianas Kopf. Gedanken über ihre verschütteten eigenen Wünsche und Vorstellungen, die stets als ihre persönlichen Feinde zwischen ihr und dem Gehorsam standen, den die Erwachsenen von ihr einforderten. Ein Gehorsam, zu dem man sie erpresste mit der Androhung von Gottes Rache und der Hoffnung auf Heirat - der einzigen Möglichkeit, weg zu kommen von Tante Shabnam und Onkel Abdullah, weg, weg, weg, WEG!
    „ Sieh mal, ich glaube, Baski hat was gefunden!“ Anmutig tänzelte Nesrin über die Felsrinnen zu einer größeren Ansammlung von Steinbrocken, wo das Kätzchen wartete und Kiana dabei zusah, wie diese empfindlich darauf achtete, auf keines der wurmähnlichen Dinger zu treten. Irgendwann lief Baski weiter. „Puh“, machte Nesrin. „Wir hätten vielleicht doch unsere Teppiche mitnehmen sollen.“
    Sie marschierten ewig. Kein Lüftchen wehte, kein Fleckchen Farbe belebte das bedrückende Grau der Steinwüste. Auch der Himmel war grau, wirkte schwer wie Beton. Auch der Geruch, der aus den Felsspalten drang, war … grau. Kiana versuchte, so wenig und so flach wie möglich zu atmen. Liefen sie etwa im Kreis? Alles war so …

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