Goldfalke (German Edition)
Nesrin dazu zu bringen, für fünf Minuten den Mund zu halten.“ Er wartete das verhaltene Gelächter ab, bis er fortfuhr: „Wir sollten nach anderen Möglichkeiten suchen, mit dieser Skorpion- und Menschenfresserbrut fertig zu werden. Warum hat der Schreckliche Sultan überhaupt diesen Zuwachs an Anhängern? Anscheinend kriecht das Gesindel aus allen Höhlen, Senkungen und Löchern, um ihm zu dienen. Wie bringt er das fertig?“
„Genau weiß das niemand.“ Kassim nippte an seinem Tee. „Wir kennen ja noch nicht einmal den Standort von Damons Machtzentrum, der Ehernen Festung. Einmal haben wir versucht, einen Spion bei Damons Anhängern einzuschleusen, doch Damons listiger Wesir Chunkar hat ihn entlarvt und seinen Kopf in einem Paket für uns im Bunten Basar hinterlegen lassen, wie ihr euch sicher erinnert. Alles, was wir wissen, ist, dass die Skorpionkrieger Damon als eine Art religiösen Führer verehren. Er verspricht ihnen die Herrschaft über die Klare Welt sowie den Eintritt ins Paradies, wenn sie sich für ihn opfern.“
„Da s ist gängiges Kriegstreibergehabe“, bemerkte Fatima bitter, „seit Moses seine Anhänger dazu gebracht hat, sich jahrzehntelang durch die friedlichen Dörfer und Städte ganzer Landstriche zu plündern. Ich habe schon so oft gesehen, wie das läuft: Irgendein Kriegsherr, egal welcher Religion, ernennt sich selbst zum Gesandten Gottes, rekrutiert Soldaten, die für ihn seine Eroberungskriege führen, indem er ihnen das gelobte Land, das Paradies oder einen Haufen Frauen verspricht, oder alles zusammen, und so braucht er ihnen noch nicht einmal Sold zu zahlen oder sie an der Kriegsbeute teilhaben zu lassen. Damon war schon immer schlau und in der Geschichte der Klaren wie der Trüben Welt bewandert. Er weiß, wie man die Einfach-Gestrickten für seine Zwecke beeinflusst und zu einer Armee zusammenschweißt.“
„Was ihn zu einem tödlichen Feind macht“ , ergänzte Kassim, „und seine Skorpionkrieger zu Freiwilligen für Selbstmordeinsätze.“ Er schaute auf Kiana. „Daher musst du dich vor den Skorpionen besonders in Acht nehmen, Geweissagte. Keine andere Gruppe von Damons Streitkraft ist derart todesmutig. Nicht einmal die Menschenfresser, die Damons Offiziere stellen und ihm willenlos ergeben sind.“
Noch immer war es sehr ungewohnt für Kiana, wie eine ernstzunehmende Persönlichkeit a ngesprochen zu werden. Doch das gab ihr das Selbstbewusstsein, zu fragen: „Und niemand weiß, wo diese Eherne Festung ist?“ Alles, was das Wort „Menschenfresser“ in ihr hervorrief, verdrängte sie wohlweislich zunächst einmal.
Der Befehlshaber stellte sein Teeglas vor sich auf den Unterteller. „Manche behaupten, sie steht im Skorpionland, fernab der üblichen Handelswege. Und manche glauben, sie am Wüstenrand vor dem Kristallgebirge gesichtet zu haben.“
„Warum bist du eigentlich schon zurückgekehrt von der überfallenen Karawane, Kassim?“, fragte ein sehr fetter Mann mit kleinen braunen Knopfaugen. Sogar seine Worte klangen fett und wabbelten gewichtig zwischen seinen fleischigen Lippen heraus: „Da Sayed noch immer draußen vor Ort ermittelt, hätte ich angenommen, du als Befehlshaber der Palastkrieger würdest ihn unterstützen.“ Sein Bart war so kurz gestutzt, dass er das Doppelkinn mehr betonte als verdeckte. Ein lose sitzendes, weißes Gewand umhüllte den massigen Körper. Das ebenfalls weiße Kopftuch wurde von einem goldenen Reif gehalten.
„Sayed bat mich, ihn hier bei dieser Besprechung zu vertreten .“ Seiner ruppigen Sprechweise nach war Kassim nicht erfreut darüber, sich vor dem fetten Mann rechtfertigen zu müssen. Deutlich freundlicher wandte er sich an Kiana: „Um noch einmal zum Wesentlichen zu kommen: Was du noch wissen solltest, Geweissagte, ist, dass Damon zwei mächtige Verbündete zur Seite stehen: sein boshafter Wesir Chunkar und die Wildstreune.“
„Wildstreune?“, echote Kiana. „Was ist das denn?“
Nesrin schüttelte sich angewidert. „Ich hoffe nicht, das all das Gruselige stimmt, was man über die Tussi sagt.“
„ Was meinst du, Farid?“, krächzte Miro. „Angeblich hast du ihr bereits ins Antlitz gesehen. Stimmen die Gerüchte, die im Bunten Basar über sie die Runde machen?“
Nun konnte Kiana doch nicht anders, als zu Farid hi nüber zu schauen. Vorsichtshalber hielt sie ihren Teppich fest. Ihr Herz begann zu rasen, als sie bemerkte, dass sein Blick nach wie vor auf ihr lastete und nur mit sichtlichem
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