Goldfalke (German Edition)
wütend, dass du ihn umsonst hergejagt hast?“
„ Schon möglich.“ Nesrin schnippte den Federkiel in den Papierkorb in der Ecke. „Aber egal, wie sauer ich ihn mache, er kriegt sich immer schnell wieder ein. Und ich denke, er hat Verständnis. Das hoffe ich jedenfalls. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie sich ein Simurgh im Kampf anstellt. Auch das müssen wir einfach auf uns zukommen lassen.“
„ Wie schaffen es die Simurgh, diese Zauberfedern herzustellen?“
Irgendetwas daran fand Nesrin zum Kichern. „Wie stellen denn Vögel Federn her?“
„Du meinst, dein Ziehvater ist ein … V ogel?“
„Klar.“ Da Nesrins Frisur endlich fertig war, wandte sie sich zur Tür. „Kommst du?“
Während Kiana die Tatsache zu verdauen versuchte, dass Nesrin von einem Vogel großgezogen worden war, gingen sie zusammen die hintere Wendeltreppe hinunter. Kiana trug ihren Dschinn auf der Faust, wohingegen Nesrin den ihren sorglos zurückgelassen hatte.
Kaum dass die Mädchen Grüße ausgeteilt und sich freie Sitzkissen gesucht hatten, brachte ihnen einer der hellblauen Helfer der Haushofmeisterin mit Honig bestrichene Brotstücke und Tee mit Milch auf die Terrasse.
Miro saß auf einer halbhohen Marmorsäule und hielt ein Stück Fleisch in den Krallen, das dem Geruch nach alles andere als frisch war. Sein kräftiger Schnabel riss ein großes Stück davon ab. Man konnte sehen, wie der Brocken den gebogenen Hals hinunter wanderte. „Nun, Kiana“, krächzte Miro. „Die Dusche war doch erfrischend, wie ich hoffe?“
Kiana errötete bis unter die Haarwurzeln. Ein schneller Rundumblick zeigte, dass keiner der Anwesenden sie anstarrte. Alle schienen mit ihrem Frühstück oder zumindest mit ihren Gesprächen beschäftigt. Nur der Großwesir schaute herüber und winkte Kiana und Nesrin zu sich. Er saß etwas abseits im Schatten einer Palme und hielt eine Tasse in der Hand. Die Mädchen nahmen ihr Frühstück mit, wünschten Sayed einen guten Morgen und setzten sich zu ihm.
K iana erwartete fast, dass er sie nun zurechtweisen würde wegen ihrer unglaublichen Schamlosigkeit, so … nackt gewesen zu sein, während die Palastwand durchsichtig war. Tante Shabnam hätte sie dafür grün und blau geschlagen. Aber Sayed erwiderte lediglich ihren Gruß.
„Weiß man schon Genaueres über den Überfall auf die Kar awane?“, erkundigte sich Nesrin und biss herzhaft in ihr Honigbrot.
Der Großwesir nahm einen ausgiebigen Schluck aus seiner Kaffeetasse, als würde er damit die Niedergeschlagenheit herunterspülen wollen, die sich in seine sonst so wachen Augen geschlichen hatte. „Kassim hat sich noch einmal zum Ort des Überfalls begeben, um die Spuren bei Tageslicht zu untersuchen, und ich werde ihm gleich folgen. Aber ich fürchte, wir werden nichts finden. So wie immer.“
Er hing einen weiteren Schluck Kaffee lang diesem Gedanken nach, bis er fortfuhr: „ Vorher muss ich noch mit euch über etwas anderes sprechen. Der Vorfall gestern am Außentor ist uns unerklärlich. Seid also vorsichtig, meine Töchter! Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass dir einer von den Menschen hier etwas Böses antun will, Kiana, aber bis der Vorfall nicht aufgeklärt ist, können wir es nicht ausschließen.“
Seine weißen Augenbrauen zogen sich zusammen . „Sicher jedoch ist die Bedrohung des Palastes von außen. Der Überfall auf die Karawane geschah in alarmierender Nähe. Kiana, was auch immer deine Aufgabe sein mag, als deren Folge unsere Seherin deinen Sieg über das Schicksal geweissagt hat, sie muss dringend in Angriff genommen werden.“
„Klar.“ Nesrins Gesicht strahlte unternehmungslustig. „Wir wollten sowieso gleich nach dem Frühstück zu den Stehenden Weisen gehen und sie um Rat fragen. Danach können wir sofort losdüsen.“
„ Langsam, langsam, Töchterchen!“ Sayed lächelte nachsichtig. „Gerade die dringenden Aufgaben sind es, die kein überstürztes Handeln verzeihen. Nach eingehender Beratung heute Morgen sind Ava und ich zu dem Schluss gekommen, dass ihr noch einen dritten Mitstreiter braucht, um den möglichen Gefahren begegnen zu können.“
„Aber warum das denn? Ki und ich sind bei Sahmaran auch gut ohne Hilfe klargekommen.“
Dass Nesrin es wagte, die Worte des Großwesirs so geradeheraus in Frage zu stellen, erfüllte Kiana mit erschreckter Verwunderung. Doch Sayed wirkte nicht wütend, sondern nur ein bisschen genervt, als er antwortete: „Wir wussten, dass Königin Sahmaran es keinem ihrer
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