Goldfalke (German Edition)
Nesrin setzte sich zurück ins Gras. „Sag nicht, ich hätte dich nicht vorgewarnt, Ki!“
Nachdem bei den Stehenden Weisen auch nach zwei Stunden nicht die geringste Einigkeit darüber bestand, welches Mädchen das hübscheste Lächeln hatte, oder wer geeignet war, an der Suche nach Elina teilzunehmen, rollte Tahiramis genervt die Augen: „Stelle eine andere Frage, Kiana!“
Inzwischen fühlte sich Kiana, als wäre ihr Gehirn wie leer gefegt. „Was sollen wir noch fr agen, Nesrin?“
„Keine Ahnung“, meinte diese. „ Hauptsache, es geht schnell.“
Auf einmal rutschte aus Kiana das heraus, worüber sie sich die ganze Zeit schon gewu ndert hatte: „Wie kommt es, dass ihr in Felsblöcken steht?“
Tahiramis stieß seufzend die Luft aus. „Das ist schon so lange her, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie es vorher war. Wie lange genau sind wir eigentlich schon hier, Hussein?“
„Etwa dreitausend einhundert Jahre“, gab er an. „Ich kam her, weil ich von einer weisen Gelehrten hörte, und wollte mit ihr mein Wissen austauschen. Doch der Boden dieses Landes war zu der Zeit verflucht, und so verwandelte sich der untere Teil meines Körpers in einen Fels.“
„Ich reiste an, um den Schatz zu heben, von dem ich g ehört hatte“, erklärte der dicke Mann. „Schließlich bin ich ein erfolgreicher Kaufmann - oder war es einst. Da geht man derartigen Gerüchten auf den Grund. Und schon steckte ich fest. Sicher liegt der verdammte Schatz hier unter uns, und seine Wächterin hat den Fluch, der uns traf, zu seinem Schutz ausgesprochen, um ihn mit niemandem teilen zu müssen. Was verständlich ist, uns alle aber in diese missliche Lage gebracht hat.“
Der reiche schwarze Mann sagte: „ Da seid ihr beide Opfer von falschen Gerüchten geworden. Ich kam her, um der Prinzessin, die hier dereinst residierte, den Hof zu machen. Und ihr Antlitz war so bezaubernd, dass ich zu Stein erstarrte. Die anderen aus meinem Gefolge hielten ihren Blick gesenkt und flohen. Nur Aziz in seiner Dreistigkeit wagte das für einen Sklaven Undenkbare und schaute der Prinzessin geradewegs ins Gesicht, und so traf es auch ihn.“
Kemal räusperte sich. „Ich kam wegen dem Ruhm, den, so hörte ich, ein Krieger hier erringen konnte.“
„ Und ich wegen des verwunschenen Schlosses, das man in Besitz nehmen konnte, wenn man die Prinzessin heiratet“, enthüllte der linke der Dreiergruppe.
Der junge Mann neben ihm gab ihm eine Kopfnuss. „Und weil Vater uns ausschickte, dich zu suchen, sind wir auch hier gefangen!“
Sine meinte: „Auf der Flucht war ich vor einem üblen Kerl und landete hier, weil ich auf den Schutz dieser Gemeinschaft hoffte, als die böse Hexe, die hier hauste, mich verfluchte wie zuvor euch. Um sich so die Gesellschaft zu erzwingen, die keiner freiwillig ihr bot.“
Hatim dreht e sich zu Sine um. „Du musst dich täuschen, Taubenmädchen. Sie war eine anbetungswürdige Königin, die den Zauber über mich sprach, um mich für alle Zeit bei sich zu haben und meinen Versen lauschen zu können ihr Leben lang. Die wundervolle Königin verschied nach einem Leben voller Poesie, doch meine Hymnen, zu ihrer Verehrung verfasst, überdauern die Vergänglichkeit.“
„Warum diese Schönheit mich verhext hat“, fügte B asidamesch heiter hinzu, „ist ganz klar: um mich zu Ihrem Liebsten zu machen für den Rest ihres Lebens. Natürlich die beste Wahl, die sie für sich überhaupt treffen konnte.“ Plötzlich verzog er das Gesicht und schaute herab auf den Felsbrocken, in den der untere Teil seines Körpers überging. „Obwohl ihr guter Menschenverstand in anderer Hinsicht versagte, denn hätte sie meinen Unterleib unversteinert gelassen, so hätte sie meine Talente noch besser genießen können und …“
„Beha lte es für dich, Basid!“ Seine Schwester hob die Hand. „Sine hat Recht. Es war eine gemeine Hexe, die diesen Zauber verhängte. Mit jedem Mal, da ihr Männer von ihr sprecht, macht ihr sie schöner und schöner. In Wirklichkeit war sie eine hässliche alte Schabracke mit Mundgeruch und einem Hintern, der aussah wie alter Reisbrei.“
Nesrin beugte sich zu Kiana. „Warte hier, ich geh mal kurz aufs Klo.“
„Dass ich diese Frage gestellt habe, war ein Fehler, oder?“ , flüsterte Kiana zurück.
Nesrin nickte grimmig. „Großer Fehler!“
Die Sonne ging bereits unter, als Kiana und Nesrin es schafften, sich von den Stehenden Weisen loszueisen, ohne unhöflich und beleidigend zu
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