Goldfalke (German Edition)
hatte einen Unfall.“
Alle Zuhörer lauschten weiterhin erwartung svoll, doch der Junge setzte sich wieder. Einer hinter ihm äußerte: „Und dann?“
Der Junge drehte sich zu ihm um. „Dann ist die Geschichte zu Ende.“
„Und was ist der Sinn?“, wollte der Teehausbesitzer wi ssen.
„Das ist doch offensichtlich“, erwiderte eine Frau mit schulterlangen Haaren. „Es ist besser, freizügig zu sein, denn wer geizig ist, verdient es, einen Unfall zu haben.“
Während ein paar Leute anfingen, darüber zu diskutieren, versuchte Kiana, ein Gähnen zu unterdrücken. „Wir sollten uns schlafen legen, Nesrin. Wir hatten einen anstrengenden Tag und müssen morgen ausgeruht sein.“ Sie trank ihren Tee aus, stand auf und streckte ihr Kreuz durch.
„Du hast Recht.“ Nesrin hob Baski auf ihren Arm, legte eine kleine Goldmünze auf den Serviertisch vor ihr und erhob sich. „Langsam werde ich echt so müde wie ein Skorpion bei Sonnenlicht.“
Das brachte Kiana auf die Frage: „Diese Skorpionkrieger - sind das Dschinns, oder was sind sie?“
Nesrin steuerte auf den Ausgang zu. „Mein Ziehv ater meint, sie stammen von Menschen ab, einer großen Nomadensippe, die alle die gleichen Dschinns hatten: Skorpione. Keine Ahnung, warum sich jeder ihrer Dschinns genau gleich entwickelte. Vielleicht war’s ihre Abgeschiedenheit, enge familiäre Bande, Inzucht. Auf jeden Fall haben sie sich durch irgendeinen Zauber mit ihren Dschinns vereint, du weißt schon, so wie Farid, nur eben nicht zeitweise, sondern untrennbar. Und seitdem sind ihre Nachkommen eine Mischung aus beidem. Wenn auch mehr Krabbeltier als Mensch, wenn du mich fragst.“
„Aus was bestehen sie? Als ich dem einen auf den Kopf gesprungen bin, fühlte sich der ganz hart an.“
„ Sie bestehen aus dem Gleichen wie echte Skorpione, und die haben eine Außenhülle aus Chitin. Das habe ich in der Trüben Welt im Internet gelesen.“ Nesrin trat hinaus in den Innenhof. „Bei den Skorpionkriegern ist das eben so was wie ultragehärtetes Chitin. Irgendwie erinnert mich das immer an hartes Plastik, so wie bei einem Motorradhelm. Ihr Gesicht ist dadurch starr. Ohne die geringste Mimik. Egal, was die denken, du siehst es ihnen nicht an. Sie ziehen immer die gleiche miese Fresse.“
„Und wie kann man sich gegen sie wehren? Ich meine, wenn man keine Raubkatze als Dschinn hat wie du.“ Tief atmete Kiana die kühle Nachtluft ein und sah sich unwillkürlich nach Farid um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.
„ Ihr Gehirn sitzt irgendwo in der Nähe ihres Schlundes.“ Nesrin wich zwei entgegenkommenden Frauen aus. „Kassim hat da eine echt abgefahrene Technik entwickelt. Er tötet die Biester, indem er ihnen einen Krummsäbel tief ins Maul stößt. Durch die Krümmung der Klinge erwischt er eine der beiden Gehirnhälften, und das Vieh ist tot.“
„Sollten wir uns dann nicht drüben am Waffenstand ein paar Säbel holen?“
Nesrin zuckte mit den Schultern. „Säbel nutzen dir nur was, wenn du wie Kassim und seine Kinder der absolute Champ im Schwertkampf bist. Wenn du nicht haa rgenau zielst, hat dich der Skorpion schon gestochen, bis du die Klinge wieder rausziehen kannst. Man kann Skorpione auch mit Pfeilen erschießen. Aber dann muss man von oben, also am besten von einem Flugteppich aus, genau zwischen Kopf- und Brustsegment zielen. Das schaffen auch nur gute Schützen. Aber wir sind doch heute optimal mit den Biestern fertig geworden, oder? Und dabei hast du deine beste Waffe, deinen Dschinn, noch gar nicht eingesetzt. Der hier könnte dir doch passen, meinst du nicht?“
„Was?“ Verwirrt stieß Kiana mit Nesrin zusammen, die an einem Ständer mit Tüchern stehen geblieben war.
Nesrin hielt einen fast durchsichtigen, golddurchwir kten Stoff hoch, dessen Türkis einen Hauch heller war als der Farbton von Kianas neuer Kleidung. „Da dein Schal an irgendeinem Skorpionarsch hängt, brauchst du einen neuen, um dich morgen vor der Sonne zu schützen.“
„Er ist wunderschön“ , gestand Kiana, „aber sicher recht teuer.“
Geschäftstüchtig kam die Händlerin herbei. „Einen prei sgünstigeren Stoff dieser Qualität werdet ihr in der ganzen Karawanserei nicht bekommen.“ Ihre knallrot geschminkten Lippen bildeten einen beeindruckenden Kontrast zu ihren weißen Zähnen, den schwarz umrandeten schlitzförmigen Augen und dem orange-grün-gestreiften Kleid.
„Wir nehmen das Teil, oder gefällt dir was anderes besser, Ki?“
„ Nein, ich
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