Goldfasan
bewahre. Die Munders sind zu fein für so etwas.«
»Da habe ich schon anderes gehört.«
Sie sah aus, als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte. »Anderes gehört?«, echote sie. »Bestimmt von der von Burwitz. Die Ziege sitzt auf einem unglaublich hohen Ross, und das nur deshalb, weil ihr Mann Ritterkreuzträger war. Aber was hat es ihm genutzt? Er ist genauso tot wie andere.« Hannelore Nieper lachte auf. »Wissen Sie, dass diese Familie engen Kontakt zu diesen Juden, den Cohns, pflegte? Bis zuletzt. Bis das Judenpack endlich verschwunden ist«, giftete sie. »Ein hochdekorierter deutscher Offizier. Eine Schande, so etwas. Solchen Leuten dürfen Sie kein Wort glauben, Herr Hauptkommissar.«
»Die Munders haben die Frau also gut behandelt?«
»Selbstverständlich. Das konnte man schon daran sehen, dass die deutlich an Gewicht zulegte. Munders haben ja gute Beziehungen. Die leben nicht nur von den Marken. Anscheinend hat auch die Ostarbeiterin davon profitiert.«
Es war nicht nur der Widerspruch zur Aussage Anna von Burwitz’, der Golsten aufmerken ließ. Hatte nicht der Schuster gesagt, die Polin sei dünner geworden?
»Haben Sie die Polin in letzter Zeit gesehen?«
»Nein. Wie gesagt, zwei, drei Monate ist es mit Sicherheit her, dass ich ihr begegnet bin.«
Nun gut. Zwischen der Wahrnehmung der Frau vor ihm und der des Schusters lag somit ausreichend Zeit, um drastisch an Gewicht zu verlieren. Plötzlich kam Golsten ein Gedanke. Was, wenn die Polin schwanger gewesen war? Das würde die unterschiedlichen Aussagen erklären. Und was, wenn das tote Kind im Wald ihres war? Eine ungewollte Schwangerschaft, eine heimliche Geburt, die Ermordung des Kindes, die Flucht der Mutter – konnte es so gewesen sein?
»Wissen Sie, ob Frau Slowacki Kontakt zu anderen Ostarbeitern hatte?«
»Frau Slowacki?«
»Die Polin.«
»Ach so. Nein, nicht dass ich wüsste. Obwohl …« Sie zögerte mit der Antwort.
»Ja?«
»Kurz vor dem Verschwinden der Polin sind mir hier in der Straße Jugendliche aufgefallen.«
»Was für Jugendliche? Polen?«
»Nein, nein. Das waren Deutsche. Aber die lungerten hier herum.«
»Vielleicht Nachbarskinder?«
»Das wüsste ich«, erwiderte Hannelore Nieper bestimmt. »Ich kenne die Nachbarn. Nein, die waren nicht von hier. Und dann, von einem Tag auf den anderen, sind sie nicht mehr gekommen.«
»Danke, Frau Nieper. Das war es schon. Vielen Dank für Ihre Auskünfte.«
»Keine Ursache. Es ist doch eine patriotische Pflicht, der Gestapo zu helfen, wann immer man kann. Heil Hitler.« Jetzt riss sie sogar den rechten Arm nach oben.
Golsten verzichtete auf eine Entgegnung und verließ das Haus. Auf der Straße blieb er einen Augenblick unschlüssig stehen. Dann wandte er sich nach links, um noch einmal Anna von Burwitz aufzusuchen.
Sie schien nicht besonders erfreut, ihn so schnell wiederzusehen. »Was wollen Sie denn noch?«, fragte sie verärgert.
»Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Aber es gibt widersprüchliche Aussagen bezüglich der Behandlung der Polin«, sagte Golsten streng. »Andere Zeugen behaupten, Munders hätten die Frau gut behandelt und nicht geschlagen.«
»Tatsächlich?«, erwiderte die Witwe spitz. »Passt besser ins patriotische Bild, nicht wahr? Deutsche müssen edel sein, nicht brutal und gemein. Mir soll es egal sein. Dann haben diese Leute die Polin eben gut behandelt. Zufrieden?«
»Das reicht mir nicht, Frau von Burwitz. Was stimmt denn nun?«
»Wenn Sie wirklich an der Wahrheit interessiert sein sollten, befragen Sie die Mitarbeiter der Baufirma, die bei Munders irgendwelche Umbauarbeiten vorgenommen haben. Die waren genau in der Zeit tätig, als die Kleine mit blauen Flecken herumlief.«
»Wie heißt die Baufirma?«
»Ich weiß es nicht. Auf dem Lieferwagen stand der Name … Irgendetwas mit Pro… Es kann auch Brau… gewesen sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern. Reicht Ihnen das jetzt?«
Golsten nickte und sie schloss schnell die Tür.
Der Hauptkommissar überlegte, ob er den Namen der Baufirma bei den Eheleuten Munder erfragen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Vielleicht war seine Spekulation über die Schwangerschaft ja doch völlig unbegründet und die Polin war tatsächlich geschlagen worden und deshalb geflüchtet. Sein Auftrag lautete, diese Polin zu finden. Nicht aber in Erfahrung zu bringen, warum sie weggelaufen war.
20
Montag, 5. April 1943 / Dienstag, 6. April 1943
D ieser Polizist
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