Goldfasan
»Obersturmführer von Schmeding, Herr Sturmbannführer«, kündigte sie an und gab den Weg in das Büro frei.
Von Schmeding war schlank und hochgewachsen. Seine schwarze Uniform saß wie maßgeschneidert. Und natürlich trug er die schwarze Schirmmütze mit silbernem Parteiadler und Totenkopf. Er stellte eine Aktentasche auf den Boden ab, nahm Haltung an und grüßte mit einem kerzengerade ausgestreckten rechten Arm. »Heil Hitler, Sturmbannführer. Obersturmführer von Schmeding meldet sich wie befohlen zur Stelle.«
Saborski erwiderte den vorschriftsmäßigen Gruß. »Stehen Sie bequem, Obersturmführer.«
Saborski hatte die Personalakte seines Besuchers gründlich studiert. Von Schmeding entstammte einer verarmten pommerschen Adelsfamilie, war achtundzwanzig Jahre alt und hatte in Jura und Geschichte promoviert. Schon als Student war er der SS beigetreten und nach Abschluss seines Studiums 1940 in das Reichssicherheitshauptamt übernommen worden. Von Schmeding war glühender Nationalsozialist. Das und seine schnelle Auffassungsgabe befähigten ihn, auch Aufgaben zu übernehmen, die sich außerhalb des Üblichen bewegten.
Saborski zeigte auf die Sitzgruppe in einer Büroecke. »Nehmen Sie Platz. Kaffee?«
»Danke, Sturmbannführer.«
»Bevor ich auf den eigentlichen Grund, warum ich Sie zu mir gebeten habe, zu sprechen komme, verraten Sie mir: Was wissen unsere Freunde von der anderen Feldpostnummer über den Fall?«
»Die Gestapo verfügt definitiv über weniger Informationen als wir.«
»Ausgezeichnet. Das soll auch so bleiben, von Schmeding. Fangen Sie an.«
Von Schmeding griff zur Aktentasche und zog einen Ordner hervor. »Wie befohlen, haben wir Munder unter die Lupe genommen. Schulbesuch von 1917 bis 1926. Danach eine Ausbildung als Schlosser. Anschließend arbeitslos. Eintritt in die SA 1928, in die NSDAP 1929. Höchster Dienstgrad: SA-Haupttruppführer. Ab 1931 in einem Herner Industrieunternehmen beschäftigt. Parallel dazu die übliche Parteikarriere: Block- und Zellenleiter in Herne, später Ortsgruppenleiter. Ab 1933 Mitglied des Rates der Stadt Herne, seit 1939 hauptberuflicher Stellvertreter des Kreisleiters und mit der Führung der Geschäfte beauftragt.«
Saborski unterbrach von Schmeding. »Die Daten interessieren im Moment nicht so. Gibt es nichts Ungewöhnliches in seiner Biografie?«
Von Schmeding blätterte in seinen Unterlagen. »Zwei Vorstrafen wegen Körperverletzung 1931 und 1932.«
»Schlägereien mit Kommunisten?«
»Wahrscheinlich.«
»Interessiert nicht. Was sonst?«
»Im Herbst 1932 Anklageerhebung wegen Unterschlagung. Da es sich aber um das Eigentum eines Juden handelte, der Deutschland bereits Anfang 1933 verließ, wurde das Verfahren wieder eingestellt. 1937 musste sich Munder einem Parteiverfahren stellen.«
»Weswegen?«
»Er soll sexuelle Beziehungen zu einer Jüdin unterhalten haben.«
»Da er noch heute in Amt und Würden ist, muss er das Verfahren überstanden haben.«
»Genau. Die Jüdin verschwand spurlos. Und die einzige Zeugin widerrief ihre Aussage und nahm sich kurz darauf das Leben.«
»Ach nee.«
»Sie hat den Gashahn aufgedreht, hieß es.«
»Haben wir in der Sache ermittelt?«
»Nein. Das heißt, ich weiß es nicht.«
»Wie das?«
»Es existieren keine Akten in unseren Archiven.«
»Das ist ja interessant. Hat da jemand die Archive gesäubert?«
»Möglich. Das war das, was aus den Unterlagen hervorgeht. Darüber hinaus gibt es immer wieder mehr oder weniger laute Gerüchte, dass sich Munder bis vor etwa einem Jahr, als die letzten Juden aus Herne deportiert wurden, an deren Eigentum bereichert hat. Wenn das stimmt, hat er deutsches Volkseigentum unterschlagen.«
»Und? Ist ihm das zuzutrauen?«
»Ich habe einige Gespräche geführt. Hinter vorgehaltener Hand, versteht sich. Keiner meiner Gesprächspartner wäre bereit, offiziell auszusagen. Es sei denn, Munder würde angeklagt und sie hätten entsprechende Rückendeckung von oben. Ja, ich glaube, dass an diesen Gerüchten etwas dran sein könnte. Munder ist nun nicht gerade das, was ich unter einem aufrechten Nationalsozialisten verstehe. Der Mann hat keinen Charakter, keine Überzeugungen. Er gehört nicht auf einen wichtigen Parteiposten.« Von Schmedings Stimme blieb völlig emotionslos.
Seit Munder bei ihm mit der Vermisstenmeldung aufgetaucht war, hatte Saborski den stellvertretenden Kreisleiter nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Irgendetwas stimmte mit dem Mann nicht, dessen war
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