Goldfasan
die Blätter und die Erde, die sie als zusätzliche Tarnung darüber geschichtet hatten, einfach wegspülen konnte.
Verdammt, irgendwo musste die Stelle doch sein! War es der Holunderbusch dort gewesen, unter dem sie das Loch ausgehoben hatten?
Ein Gedanke durchzuckte ihn. Konnte es sein, dass jemand anders ihren Schatz gefunden hatte? Die Polizei? Oder die Gestapo? Oder ein zufälliger Spaziergänger? Anfang April!? Ein Bauer vielleicht? Was sollte der im Wald wollen! Außerdem: Fast alles von dem, was sie in der Höhle aufgehoben hatten, war nur für sie selbst von Wert. Mit Ausnahme der Walther.
Ohne große Hoffnung fegte er mit den bloßen Händen die Blätter unter dem Holunderbusch beiseite und schob seine Finger in das feuchte Erdreich. War der Boden nicht doch ungewöhnlich locker? Hastig grub er weiter. Und dann, endlich, stießen seine Finger auf Holz. Er hatte die Kiste gefunden.
Prüfend sah er sich um, konnte aber niemanden entdecken. Mit einem Ruck zog er das Behältnis aus dem Loch, schloss mit klammen Händen das Vorhängeschloss auf und hob den Deckel an. Alles lag an seinem Platz. Auch die Walther, eingewickelt in Ölpapier. Er packte die Waffe aus. Kein Rost, an keiner Stelle. Erwin schob den Schlitten vor und zurück. Sie war immer noch geladen und funktionsfähig. Vorsichtig legte er die Walther beiseite, verstaute das Ölpapier wieder in der Kiste, verschloss sie und schob schließlich Erde und Blätter darüber.
Erwin stand auf, reinigte seine Hände notdürftig mit etwas Laub und steckte zufrieden die Walther hinten in den Hosenbund. Heute war Vollmond. Und es versprach, eine klare Nacht zu werden. Genau die Bedingungen, auf die er gewartet hatte. Er würde seinen Plan endlich in die Tat umsetzen.
Erwin trabte los. Die Uhr der evangelischen Kirche schlug bereits sieben, als er schwer atmend die Teutoburgia-Siedlung erreichte. Das Fahrrad eines Bekannten stand wie verabredet angelehnt am Schuppen. Erwin hatte dem anderen erzählt, dass er eine Freundin in Eickel habe, die er besuchen wolle. Und es könne bis morgen früh dauern, bis er das Fahrrad zurückerhalten würde. Als Gegenleistung, quasi als Miete, hatte Erwin dem Fahrradbesitzer eine Lebensmittelmarke für dreißig Gramm Fett überlassen müssen. Eine Tagesration! Er hatte die Marke aus der Dose entwendet, in der seine Mutter sie aufbewahrte. Erwin schämte sich dafür. Aber er brauchte das Fahrrad. Zu Fuß wäre er einfach nicht schnell genug.
Erwin radelte in die Stadtmitte und stellte das Fahrrad hinter dem Bretterzaun ab, der das Gelände der abgebrannten jüdischen Synagoge an der Hermann-Löns-Straße umzäunte.
Die letzten Meter bis zur Schäferstraße ging er zu Fuß. Zufrieden registrierte er, dass Munders Wanderer nicht vor der Tür seines Hauses stand. Gut. Irgendwann musste der stellvertretende Kreisleiter ja nach Hause kommen. Auch wenn Munder vermutlich nicht direkt in die Ermordung Mannis involviert war, war er in Erwins Augen schuldig. So wie alle verdammten Nazis! Außerdem würde er mit dieser Tat vermutlich vollenden, was der Rote und seine Freunde nicht mehr hatten angehen können. Und so seinem Hass auf das System für alle sichtbar Ausdruck verleihen.
Und ein Zeichen setzen.
Und zeigen, dass Widerstand möglich war.
Und schließlich: Manni rächen.
Erwin schlenderte um die nächste Straßenecke, blickte sich um, sprang über eine niedrige Hecke und schlich, eng an die Hauswand gedrückt, zurück. Er lugte um die Hausecke und lief los, um seinen früheren Beobachtungsposten unter dem großen Rhododendronbusch schräg gegenüber von Munders Villa zu beziehen.
Er zog die Walther hervor, entsicherte die Waffe und legte sie auf den Boden vor sich. Dann nahm er den Schneidersitz ein, schlug seinen Jackenkragen hoch und wartete. Glücklicherweise wurde es in den Nächten nicht mehr sehr kalt.
Er musste eingenickt sein, denn das Motorengeräusch eines nahenden Kraftwagens ließ ihn hochschrecken. Munder? Schlagartig war er hellwach und starrte in die Finsternis. Das Motorengeräusch wurde lauter und ein Wagen näherte sich. Im Mondlicht erkannte Erwin das Fahrzeug ohne Probleme. Es war Munders Wanderer.
Der Wagen hielt und der Nazibonze stieg aus. Munder war sichtlich betrunken. Mit der linken Hand hielt er sich am Fahrzeug fest und versuchte, das Auto zu verriegeln. Immer wieder verfehlte er das Türschloss. Leise Flüche waren zu hören. Schließlich winkte Munder entnervt ab und wankte in Richtung
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