Goldfieber
hellen Flammen. Von den dämonischen Spuk- und Trugbildern verblendet, stürzten sich Carlitas Gefährtinnen schreiend ins Feuer, tanzten und sangen zu Ehren von Xochiquetal und kamen allesamt in den Flammen um.
Nur Carlita überlebte diese schreckliche Nacht. Ihre TanteIxhuicatli hatte sie im letzten Moment in der geheimen Kammer im Pyramidensockel versteckt, in der seit jeher die unermesslich kostbaren Ritualgegenstände verwahrt wurden. Neben der sechs Fuß hohen Xochiquetal-Statue, deren linke Hälfte aus Gold und die rechte aus Silber besteht, kauerte Carlita im Dunkeln. Durch Ritzen im Mauerwerk sah sie, wie Ixhuicatli und die Priesterinnen im Gewölbe umherrannten, sich schreiend aufeinanderstürzten und zu Boden fielen, während fieberfarbene Dämonen hinter ihnen herjagten, ungreifbar wie Nebelschwaden …
Carlita war mit ihrer Geschichte noch nicht fertig, doch an dieser Stelle brach sie unvermittelt ab und schaute nur noch stumm auf den Platz hinunter. Ihre Augen waren glasig, ihre Stimme rau vor ungeweinten Tränen. Ab und an wurde sie von einem Schluchzer geschüttelt, aber sie brach nicht in Tränen aus. Mir wäre es sogar lieber gewesen, wenn sie die Fassung verloren hätte, denn sie kam mir wie versteinert vor. Wie eingemauert in ihren schrecklichen Erinnerungen!
Sie tat mir furchtbar leid, aber ich spürte, dass ich nichts tun konnte, außer bei ihr zu sein und sie in den Arm zu nehmen, wenn sie das wollte. Ob wir nach Tenochtitlan weitermarschieren oder nicht – so ging es mir durch den Kopf –, in ihren Gedanken und Albträumen sitzt Carlita sowieso die ganze Zeit in jener lichtlosen Kammer und hört die Schreie ihre Gefährtinnen und sieht, wie sie von den dämonischen Dämpfen gejagt und verblendet werden. Und niemals, niemals durfte Cortés erfahren, dass in jener geheimen Kammer im Pyramidensockel ein sechs Fuß großes Bildnis der Xochiquetal verborgen war – zur Hälfte aus Silber geschmiedet und zur Hälfte aus Gold!
Ich legte behutsam meinen Arm um Carlitas Schultern und zog sie auf der Steinbank näher zu mir heran. Die Opferzeremonie drüben auf der Pyramide war anscheinend zu Ende – die Trommeln waren verstummt, ebenso die schrillen Gesänge der Priester und das Trillern der Muschelflöten. »Warum glaubst dudenn, dass Montezuma auch uns auf diese Weise töten lassen will«, fragte ich Carlita, »wenn wir zu ihm nach Tenochtitlan gehen?«
»Weil er Xochiquetal hasst!«, antwortete sie. »Die sanfte Göttin verkörpert alles, was er verabscheut – Liebe, Güte, Verzeihen! Davon haben meine Eltern und meine Tante Ixhuicatli oft genug gesprochen. Bevor die angebliche ›Ringelblumen-Verschwörung‹ aufflog, gehörten wir immer noch zu den angesehensten Adelsfamilien von Tenochtitlan. Meine Eltern und Ixhuicatli wurden recht häufig in den Königspalast eingeladen und kannten Montezuma ziemlich gut.«
Darüber dachte ich erst einmal nach, während unser Herr über den Platz zu unserem Palast zurückkam. Wieder waren er und seine Begleiter von einem Ring aus Kriegern umzingelt – es sah fast aus, als ob sie in den Kerker geführt werden sollten.
»Aber wir verlangen ja nicht, dass sich Montezuma zu Xochiquetal bekehrt!«, wandte ich schließlich ein. »Wir bringen ihm den Glauben an den allmächtigen Gott und an …«
»… die gütige Muttergottes Maria!«, fiel mir Carlita ins Wort. »Und die sieht eben aus wie Xochiquetal! Trotz der Unterweisung durch Fray Bartolomé habe ich bis heute nicht richtig verstanden, wodurch sich die Liebe Frau Maria von der Liebesgöttin Xochiquetal unterscheiden soll. Von ihr geht genau die gleiche Güte und Sanftheit aus – all das, was Montezuma, seine Krieger und Priester auf den Tod hassen!«
Sie wand sich unter meinem Arm hervor und erhob sich von der steinernen Bank. »So glaub mir doch, Orteguilla!«, fuhr sie in beschwörendem Tonfall fort. »Montezuma und seine Ratgeber werden sich ganz bestimmt nicht die Mühe machen, nach irgendwelchen Unterschieden zu suchen. Für ihn sieht es so aus, als wäre Cortés gekommen, um den Völkern von Mexiko den Glauben an die sanften Götter Quetzalcoatl und Xochiquetal zurückzubringen! Und das heißt für ihn eben, dass ihr ihn selbst und denKriegsgott Huitzilopochtli stürzen wollt, den die Azteken über alle anderen Götter gestellt haben!«
Ich lächelte sie an und suchte nach einer beruhigenden oder tröstlichen Bemerkung, aber mir fiel nichts Brauchbares ein. »Sprich mit niemandem über
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