Goldfieber
Nacht alles vorbereitet für den Fall, dass die Chololla heute erneut Anstalten machen, uns anzugreifen. Und die Versammlung der Fürsten und sonstigen Würdenträger drüben am Quetzalcoatl-Tempel bietet ihnen eine ideale Gelegenheit, sie durch einen Gegenangriff zu überrumpeln.
Von unserem Palast führen zwei Tore auf den Platz hinaus. In jedem Eingang steht eine Kanone, ihre Mündungsrohre bedrohen den Platz. Der Hof und der Garten hinter dem Palast sind so weitläufig, dass unser gesamtes Gefolge dort untergekommen ist – zweitausend Tlaxcalteken, achthundert Totonaken und nochmals rund fünfhundert Diener und Sklaven. Aus dem linken Tor kommen nun unsere Kompanien eine nach der anderen hervorgestürmt, aus dem rechten die Tlaxcalteken in weniger geordneter Formation. Sie tragen bunte Blumenbüschel auf den Köpfen, und nach einem Moment der Verblüffung wird mir klar, wozu dieser wenig kleidsame Kopfputz gut ist: Er soll verhindern, dass wir versehentlich unsere eigenen Verbündeten beschießen.
»Was ist hier los?«, murmelt eine verschlafene Stimme hinter mir. Carlita ist aufgewacht und reibt sich schlaftrunken die Augen.
»Nichts, was wir uns ansehen sollten«, sage ich rasch. »Komm, Carlita, lass uns nach unten gehen. In deine Kammer – dort sind wir in Sicherheit.«
Sie erhebt sich von der Flechtmatte, auf der wir die Nacht verbracht haben. Ich nehme ihre Hand und ziehe sie zu der Treppenluke weiter hinten im Dach. Da erschallt vom Platz her ein dröhnender Ruf: »Das Tor ist offen!«
Wir fahren herum und laufen zum Rand des Palastdachs zurück. Gerade noch bin ich geistesgegenwärtig genug, um mich flach auf den Bauch zu werfen und Carlita mit mir herunterzuziehen. So sind wir zumindest vom Platz aus nicht zu sehen. Die Indianer auf den Nachbardächern haben allerdings nach wie vor freien Blick auf uns – und freie Wurfbahn, falls sie beschließen sollten, uns mit Steinen zu bombardieren.
Auf der anderen Seite des Platzes stößt eben der »Dröhnende« das Tor zum Quetzalcoatl-Tempel weit auf. Er stürmt in den Hof, wo die Würdenträger versammelt sind. Ihm dichtauf folgen Alvarado und Cortés, Marina und rund dreißig unserer Männer, bewaffnet mit Schwertern und Gewehren. Marina trägt einen Helm und am Gürtel ein Kurzschwert. Sie sieht furchterregend aus und auf düstere Weise wunderschön. Hinter ihnen geht das Tor krachend wieder zu. Wenn die Azteken oder die Chololla an eine Kriegsgöttin glauben würden, geht es mir durch den Kopf – sie müsste aussehen wie Marina!
Die Chololla-Krieger auf dem Platz stehen wie versteinert da. Ohne ihre Anführer wissen sie offenbar nicht, was sie jetzt machen sollen. Unsere Männer und die Tlaxcalteken haben einen zweiten Wall vor der Mauer zum Quetzalcoatl-Tempel gebildet und halten die Chololla mit ihren drohend erhobenen Waffen in Schach.
»Warum wollt ihr uns töten?«, höre ich Cortés drinnen im Tempelhof fragen. Er spricht mit erhobener Stimme, doch in jenem scheinbar gleichgültigen Tonfall – wie immer, wenn ihn kalter Zorn erfüllt. »Wir sind eure Gäste«, fährt er fort, »ihr habt mir und meinem König den Vasalleneid geleistet – und nun trachtet ihr uns nach dem Leben! Aus welchem Grund?«
Marina übersetzt, und noch bevor sie damit fertig ist, rufen und stammeln mehrere Chololla durcheinander. »Montezuma hat es ihnen befohlen«, sagt Marina. »Sie wollten erst nicht gehorchen, aber er hat gedroht, ihre Kinder und Kindeskinder opfern zu lassen, wenn sie nicht tun, was er verlangt.«
Für einen Moment kehrt drüben Schweigen ein. Was hat Cortés vor?, überlege ich fieberhaft. Will er die Fürsten und Würdenträger von Cholollan als Geiseln nehmen und so unseren freien Abzug aus der Stadt erzwingen? Aber warum hat er den größten Teil unserer Männer und der tlaxcaltekischen Krieger auf dem Platz aufmarschieren lassen? Und wieso hat er vorhin zu mir gesagt, dass es einen Kampf geben würde?
»Das ist Hochverrat!«, ruft unser Herr aus. »Nach spanischem Recht habt ihr alle euer Leben verwirkt! Als Statthalter meines Königs ordne ich hiermit an, das Urteil unverzüglich zu vollstrecken.«
»Macht die verfluchten Wilden kalt!«, brüllt Portocarrero.
»Feuer frei!«, ruft Alvarado.
Schüsse krachen hinter der Tempelmauer, Schwerter klirren, und dazu schreien die angegriffenen Chololla ohrenbetäubend durcheinander. Von hier oben aus können Carlita und ich nur ein wildes Hin- und Herwogen von Köpfen sehen, schwarze
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