Goldfieber
Schöpfe mit buntem Federschmuck und eisern behelmte Häupter. Doch die gefiederten Köpfe werden immer weniger und nach kürzester Zeit sind dort drüben hinter der Mauer nur noch die Helme unserer Männer zu sehen. Und der Helm von Marina.
Ein Hagel von Steinen prasselt neben Carlita und mir auf das Dach.
»Orteguilla!«, ruft hinter mir irgendjemand. Im Liegen drehe ich meinen Kopf zurück. In der Treppenluke steht einer unserer Armbrustschützen. »Verschwinde von hier!«, ruft er mir zu. »Hat der Kapitän-General dir nichts gesagt? Du sollst die Prinzessin in Sicherheit bringen!«
Die Prinzessin? Fragend blicke ich Carlita an, aber sie scheint überhaupt nicht zugehört zu haben. Sie schaut starr auf den Platz hinab, auf dem nun tatsächlich ein wilder Kampf entbrennt. Doch nein – es ist mehr eine Treibjagd, ein Hetzen und Abschlachten von aufgescheuchtem Wild. Die Chololla-Krieger rennen schreiend durcheinander und unsere Männer laufen mit gezogenen Schwertern hinter ihnen her. Gewehre werden abgefeuert, Armbrustpfeile zischen durch die Luft. Schon liegen überall auf dem Platz Indianer herum, zuckend und schreiend oder so stumm und starr, wie nur Tote daliegen können.
Ich fasse Carlita bei der Hand und ziehe sie wieder hoch. Über dem Platz wabern Schwaden von Pulverdampf, während wir nach hinten zur Treppenluke rennen. In den Augenwinkeln sehe ich, dass die beiden Steinewerfer vom Nachbardach reglos neben ihrem Geröllhaufen liegen. Aus dem Rücken des einen ragt ein Armbrustpfeil und um sie herum ist alles voller Blut.
Unzählige Tote und Verwundete habe ich gesehen, seit wir aus Vera Cruz aufgebrochen sind! Doch der Anblick der beiden Chololla, die wie übereinandergeworfen zwischen den Steinhaufen lagen, geht mir noch nach, als ich mit Carlita zu ihrer Kammer im Erdgeschoss eile. Guerrero postiert sogleich zwei Wächter vor unserer Tür. Er grinst mir aufmunternd zu und aus irgendeinem Grund erinnert mich sein zernarbtes Gesicht erneut an die beiden toten Chololla oben auf dem Dach.
Wir werden wieder alle niedermachen!, geht es mir durch den Kopf. So und nicht anders haben Cortés und Alvarado, Sandoval und Portocarrero es in der Nacht bestimmt geplant: Sie werden jeden einzelnen Chololla abschlachten, den sie hier in der Stadt aufgreifen können. Sie werden ein Blutbad anrichten, sie werden die Indianer massakrieren und verstümmeln, genau wie vor Wochen in den Tlaxcalteken-Dörfern. Nur dass sich hier in der Stadt viele Tausend Krieger aufhalten und nicht nur ein paar Bauern mit ihren Familien!
Doch Cortés wird keinen von ihnen am Leben lassen, das ist mir mit einem Mal schrecklich klar. Bestimmt hat er schon in Tlaxcala vorausbedacht, dass Montezuma uns hier in Cholollan tatsächlich eine Falle stellen könnte – und dass wir aber gerade deshalb hierherkommen müssen, ohne Angst oder Argwohn zu zeigen. Denn schließlich – wie könnte er der wiedergekehrte Quetzalcoatl sein und sich gleichzeitig vor ein paar Tausend Chololla-Kriegern fürchten?
Carlita hat sich sogleich in ihre Hängematte gelegt und die Augen geschlossen. Ich dagegen stehe wie versteinert an einer Fensterluke und schaue hinaus. Der Platz hallt noch immer von Schreien und Gewehrschüssen wider, aber es sind jetzt größtenteils Echos aus den Straßen und Gassen ringsum. Unsere Männer verfolgen die Chololla bis in die äußeren Stadtviertel. Die Luft ist von Brandgeruch erfüllt. Rauchschwaden steigen überall auf.
Sie machen es wirklich wie in den Tlaxcalteken-Dörfern, sage ich mir und vergesse zu atmen. Sie zünden alles an und schlachten alles ab, was sich auf zwei Beinen bewegt! Und dann plündern sie die gebrandschatzten Häuser und raffen alles an sich, was ihnen des Raubens wert scheint. Oh mein Gott!, denke ich und presse meine Zähne zusammen, um nicht laut herauszuschreien, was mir wieder und wieder durch den Kopf geht: Was wir hier machen, ist Unrecht! Ein schreckliches Verbrechen! Auch wenn sie uns angreifen wollten und wir ihnen nur zuvorgekommen sind: Dürfen wir deshalb ihre Stadt anzünden? Ihnen alles wegnehmen – ihre Besitztümer, ihr Leben, sogar ihre Würde?
Ich balle meine Hände zu Fäusten und drücke sie mir auf die Augen, um nichts mehr zu sehen. Aber die Bilder sind in mir, die Schreie, der Schrecken, der Schmerz. Warum bin ich nicht so unbeirrbar wie Guerrero, der niemals an seinem Recht zu töten zweifelt? Warum nicht so selbstgerecht wie Portocarrero, so verschlagen wie Alvarado? Warum
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