Goldfieber
kann ich mir nicht einmalmehr wünschen, so unbekümmert wie Sandoval zu sein – der »Tollkühne«, der noch auf Kuba und noch in Potonchan mein strahlender Held war?
Diese und so viele andere Gedanken wirbeln in mir umher wie Papierfetzen im Wind, wie zerrissene Schreie, die der Sturm von irgendwo herbeiweht. Doch die ganze Zeit über ist da in mir auch noch eine andere Stimme, die kühl und gleichmütig bleibt. »Wir werden nach Tenochtitlan gelangen«, sagt diese Stimme, »oder wir werden auf dem Weg dahin sterben.« Und sie sagt: »Ich werde den Thron erklimmen, der für mich bestimmt ist, oder ich werde am Galgen enden!« Es ist Cortés’ Stimme, aber es ist auch meine eigene Stimme, das wird mir immer klarer, je länger ich ihr zuhöre. »Ich werde mir hier in der Neuen Welt den Platz erkämpfen, der mir zu Hause verwehrt worden ist!«, sagt die Stimme in mir. »Koste es, was es wolle!«
Erst als der Abend bereits dämmert, kehren unsere Männer zum Tempelplatz zurück. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen, aus allen Vierteln, aus den abgelegensten Stadtteilen. Auch Cortés und seine Vertrauten sind wieder da. Ich stehe bei ihnen auf dem Palastdach und schaue zu, wie sie ihre Blicke über die brennende Stadt schweifen lassen. Ihre Augen glitzern, ihre Hände und Gewänder sind mit Blut befleckt.
Unten auf dem Platz haben unsere Männer die gewaltigen Goldmengen aufgehäuft, die sie überall in der Stadt aus Tempeln, Palästen und Schatzverstecken geraubt haben. Unzählige goldene Becher und Teller, Figuren und Schmuckstücke. Es schimmert und funkelt zu uns herauf wie eine zweite Abendsonne: so blendend, so blutrot.
Vorhin war es Tapia, der an Carlitas Kammertür klopfte und mir auftrug, sofort zu Cortés hinaufzugehen. Auch seine Hände waren noch mit Blut besudelt und seine Augen glänzten fiebrig. Doch zugleich kam er mir niedergeschlagen vor, buchstäblich bedrückt von der neuen Last, die er auf sein Gewissen geladen hat.
»Ich hätte nie gedacht«, murmelte er, »dass sich so etwas wiederholen würde. Du weißt schon, mein Retter: ein solcher Tag, an dem wir uns ganz und gar vergessen. Aber ich habe mich geirrt.«
Er schüttelte den Kopf, und ich sinne seinen Worten noch immer hinterher, während ich hier oben auf dem Dach bei Cortés stehe.
»Glaubst du, dass es falsch war, sie für ihren Verrat so hart zu bestrafen?«, fragt unser Herr. Er legt eine Hand auf meine Schulter, und da erst wird mir klar, dass er es mich gefragt hat.
»Ich, Herr … ich glaube …«, stammele ich und überlege fieberhaft, was ich ihm antworten soll. »Ich frage mich«, bringe ich schließlich hervor, »ob Montezuma jetzt noch glauben wird, dass Ihr der gütige Quetzalcoatl seid.«
»Montezuma und seine Ratgeber werden zutiefst beunruhigt sein, wenn sie erfahren, was hier in Cholollan passiert ist«, antwortet mir Cortés. »Versetze dich in ihre Lage: Sie selbst haben ihre Hauptgötzen grausamer und blutrünstiger gemacht, vor allem ihren unersättlichen Kriegsgott Huitzilopochtli. Für sie muss es jetzt so aussehen, als greife auch Quetzalcoatl zu grausameren Mitteln – und wer könnte das besser verstehen als Montezuma?«
Cortés reckt sein Kinn vor und wölbt die Brust wie sein steinernes Ebenbild unten auf dem Platz. »Gütig und sanft konnte Quetzalcoatl sein, solange er als oberster Götze von allen anerkannt war«, fährt er fort. »Aber um den furchtbaren Kriegsgott zu stürzen und den höchsten Thron zurückzuerobern, muss er noch grausamer als Huitzilopochtli sein.«
ACHTES KAPITEL
Wie in einem Spinnennetz gefangen
- 1 -
Bei strahlendem Sonnenschein marschieren wir über den Dammweg, mitten durch den leuchtend blauen See. Kanus schießen pfeilschnell über das Gewässer, das so weitläufig ist wie ein kleines Meer. Wellen schlagen gegen den Damm, allenfalls eine Lanzenlänge unter unseren Füßen. Höchstens noch eine Meile vor uns, auf der gewaltig großen Insel, liegt Tenochtitlan. Flimmernd und gleißend in der Mittagssonne wie ein ungeheurer Schatz – oder wie die Ausgeburt eines Fieberwahns.
In einem Städtchen namens Ayotzingo, am südlichen Seeufer gelegen, wurden wir heute früh von einem Abgesandten Montezumas erwartet. Ein noch junger Mann mit einnehmenden Gesichtszügen entstieg einer Sänfte, die mit Federn, Gold und Silber verschwenderisch geschmückt war. Er war überaus kostbar gekleidet und stellte sich als Cacama, König von Texcoco, vor. »Mein Onkel, der Große Montezuma«,
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