Goldfieber
Cuitlalpitocs Hals geschlossen, als Cortés ihm befahl, das Leben des listenreichen Lügners zu schonen. »Ich will, dass Montezuma ihn hinrichten lässt«, sagte er.
Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, betrachtet Montezuma die taubenblauen Perlen mit offenbarem Entzücken. Auf einen Wink von ihm bringt ein Diener zwei ineinander verflochtene Halsketten aus roten Schneckenhäusern herbei. An jeder Kette hängen acht goldene Garnelen, die leise gegeneinander klirren, als Montezuma höchstselbst unserem Herrn das eigenartige Schmuckstück umhängt.
»Schneckenhäuser gegen echte Perlen – dieser verfluchte …!«
Diesmal ist es Alvarado, der den »Dröhnenden« mit einer Handbewegung zum Schweigen bringt. » Rote Schneckenhäuser«, korrigiert er. »Quetzalcoatls Farbe! Jede Wette, dass auch die Garnelen irgendetwas mit diesem Götzen zu tun haben, den sie in dir sehen, Hernán.«
Cortés starrt Montezuma ausdruckslos an. Er scheint weder den Fluch des einen noch die Erklärungen seines anderen Vertrauten mitbekommen zu haben. Seine Finger tasten über die goldenen Garnelen vor seiner Brust, doch auch von jenem fiebrigen Glitzern in seinen Augen ist nichts zu sehen. »Unlängst träumte mir«, sagt er, »dass ich auf einem Floß über das Meer trieb und beinahe hungers gestorben wäre. Da plötzlich regnete es Garnelen wie diese hier auf mich herab. Ich brach ihre Schalen auf, schlang das zarte Fleisch in mich hinein – und war gerettet!«
Marina übersetzt und Montezumas Augen werden immer größer. Er wechselt einen Blick mit seinem Zepterträger und murmelt ihm etwas zu. »Quetzalcoatl …«, meine ich zu verstehen – und da wird mir klar, dass Cortés eben keinen Traum erzählt hat, sondern eine Geschichte, die wirklich von Quetzalcoatl überliefert worden ist.
Er kann sie von Marina gehört haben, überlege ich, von unserem Totonaken-Häuptling Mamexi, von Xicotencatl oder von den Herrschern in Cempoallan, bevor er sie umbringen ließ. Oder ist es möglich, dass er diese Geschichte zuerst gehört und anschließend noch einmal geträumt hat – nur dass er in seinem Traum wahrhaftig Quetzalcoatl war? Ich starre ihn an, während er durch Montezuma hindurchstarrt und der Aztekenherrscher um Worte ringt. Oh ja, es ist möglich, sage ich mir – und Bewunderung erfüllt mich für unseren Herrn, für seine so bewegliche Einbildungskraft und seinen einzigartigen Mut. Schließlich, wer außer ihm würde es wagen, sich als wiedergekehrte Gottheitauszugeben – vor dem Herrscher desjenigen Volkes, das diese Gottheit von ihrem Thron gestoßen hat?
Mit sichtlicher Mühe gelingt es Montezuma, seine Fassung zurückzuerlangen. Er knurrt seinem Zepterträger Befehle zu und kurz darauf erscheinen mehrere weitere aztekische Fürsten. Sie nennen ihre Namen, murmeln unterwürfige Begrüßungsfloskeln und küssen die Erde vor Cortés’ Füßen. Einer von ihnen heißt Cuitláhuac, er ist ein jüngerer Bruder von Montezuma und der militärische Oberbefehlshaber der Azteken. Er schaut nicht nur düster wie König Cacama, sondern unverhohlen feindselig drein. Cuitláhuac versucht nicht einmal zu verbergen, dass er den Entschluss seines Bruders nicht gutheißt, uns in Tenochtitlan gastfreundlich aufzunehmen. Offensichtlich glaubt er so wenig wie König Cacama, dass Cortés ein wiedergekehrter Gott sein könnte – oder auch nur irgendein Nachkomme des sagenhaften Volkes der Tolteken, das vor den Azteken dieses Tal beherrscht hat. Doch Montezuma ist der Herrscher, und so bleibt Cuitláhuac nichts anderes übrig, als unseren Herrn mit vorgetäuschter Freundlichkeit willkommen zu heißen.
Auf Montezumas Geheiß ergreifen er und Cacama sogar jeder einen Strohbesen, mit dem sie vor Cortés und Montezuma den Boden fegen, während die beiden nebeneinander durch den Torturm in die Stadt schreiten. Die Träger mit der leeren Sänfte eilen ihnen voraus und Diego zieht Cortés’ unruhig tänzelnden Hengst am Zügel hinter sich her.
Das feinfühlige Tier verspürt bestimmt genauso wie ich den Drang, sich herumzuwerfen und über den Damm davonzurennen, solange diese Möglichkeit noch besteht. Solange wir noch am Leben und bei guter Gesundheit sind. Und solange die Azteken die Holzbrücken noch nicht aus der Dammstraße herausgerissen haben, um alle Fluchtwege aus der Stadt zu blockieren.
Aber Cortés’ Hengst bleibt so wenig wie uns allen eine Wahl. Wir marschieren hinter unserem Herrn und dem Herrscher derAzteken her in
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