Goldfieber
verschleppen. Sie wurden in Käfige gesperrt und bekamen reichlich zu essen und zu trinken. Die Indianer behandelten sie zuvorkommend, als ob sie hochgestellte Persönlichkeiten oder sogar Götter wären. Doch eine Woche, nachdem sie in die Käfige gesteckt worden waren, legten die Indianer in jener Siedlung ihren prächtigsten Federschmuck an. Sie schlugen auf ihre Trommeln, pfiffen auf ihren Knochenflöten, und unter diesen Klängen wurden die Schiffbrüchigen aus den Käfigen gezerrt und zu einer Pyramide in der Mitte des Hüttendorfs geführt.
An dieser Stelle unterbricht sich Geronimo. Er schwitzt, sein Mund zuckt. »Carlito«, flüstert er, »du bist noch so jung! Wirst du ertragen, was ich dir jetzt erzählen muss?«
Ich schlucke krampfhaft und zwinge mich zu nicken. Ich bin keineswegs sicher, ob ich es ertragen werde. Aber ich muss wissen, was dort passiert ist, bei der Pyramide, unter dem Wummern der Trommeln – ich muss alles in Erfahrung bringen, damit ich Cortés davon berichten kann. Und vielleicht mehr noch, um ihm und mir selbst zu beweisen, dass ich die Geheimnisse eines ganz und gar fremden Mannes zu ergründen vermag.
»Sprich weiter, Bruder!«, sage ich.
Glücklicherweise hat er mittlerweile meinen Kopf losgelassen und hält stattdessen meine Hände umfasst. Seine Hände sind schwielig und sein Griff ist eisenhart.
Die Indianer, fährt er fort, zerrten alle Gefangenen zum Dach ihrer Pyramide hinauf. Dort mussten sie sich nebeneinander aufstellen, und ein Orakelpriester warf Kakaobohnen und Bambusstangen auf ein aufgeschlagenes Buch, dessen Blätter mit bunten Bildern und Schriftzeichen bedeckt waren. Durch das Orakelsprach anscheinend einer der Teufelsgötzen zu den Indianern, und er befahl, dass acht der zwölf Gefangenen geopfert werden sollten. Geronimo verstand kein Wort von dem, was die Indianer miteinander besprachen. Aber er sah, wie der Orakelpriester die rechte Hand spreizte und von der linken nur drei Finger: acht.
Er erlitt tausend Qualen der Todesangst, während die Priester endlos beratschlagten, wie der Orakelspruch zu erfüllen sei. Auf dem Pyramidendach stehend musste er schließlich mitansehen, wie seine Leidensgefährten einer nach dem anderen auf den Opferstein gestreckt wurden. Der Teufelspriester stach sie mit einer Pfeilspitze, die mit einem betäubenden Gift bestrichen war. Daraufhin ließen sie alles mit sich geschehen und gaben höchstens noch ein dumpfes Stöhnen von sich. Mit dem schwarzen, gezackten Steindolch schnitt der Priester ihnen das Herz aus der Brust. Das Blut quoll hervor und er salbte sich damit an Händen und Armen. Die anderen Gefangenen aber, die noch nicht an der Reihe waren, bekamen kein Gift und mussten folglich bei vollem Bewusstsein alles mitansehen.
Das Herz wurde in eine steinerne Schale gelegt und mit brennendem Harz übergossen, der wie Weihrauch roch. Mit Hacke und Säge hieben und schnitten währenddessen weitere Priester den Kopf und die Gliedmaßen vom Rumpf herunter. Arme und Beine wurden in ein Kohlebecken gelegt und wie Wildbret gebraten. Der Gestank nach verkohltem Menschenfleisch war entsetzlich, aber die Gesichter und Gebärden der Indianer verrieten, dass sie sich auf das grausige Mahl freuten.
Die kannibalische Zeremonie zog sich stundenlang hin, erzählt mir Geronimo. Die Priester schrien Beschwörungen und andere Priester antworteten mit dumpfen Chorgesängen. Zwischendurch wurde auch die Menge mit einbezogen, die sich auf dem Platz unter der Pyramide versammelt hatte: Sie tanzten und sangen dort unten, lachten oder heulten, je nachdem, was die Priester oben auf dem Heiligtum gerade verkündeten.
Währenddessen wummerten unablässig die Trommeln, die Knochenflöten schrillten und stöhnten, und längst wünschte sich Geronimo nur noch, dass es endlich zu Ende wäre. Dass die Teufelsschergen auch ihn packen und auf den Opferstein niederdrücken würden. Dass sie ihm die vergiftete Pfeilspitze in die Armbeuge oder in die Zunge stechen würden – Hauptsache, es war endlich vorbei!
Doch als dann wirklich einer der Götzenpriester kam und ihn am Arm ergriff, da schrie er auf und riss sich los. Es war ein Irrtum! Er wollte überhaupt nicht, dass es zu Ende ging! Lieber in Todesangst noch Stunde um Stunde auf dieser Höllenpyramide stehen, durchfuhr es ihn, oder wenigstens noch ein paar Minuten – alles lieber als jetzt schon, in diesem Augenblick, sterben müssen!
Der Teufelspriester lachte ihm ins Gesicht mit seinem Mund
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