Goldfieber
schreien. Aber ich darf ihn nicht unterbrechen, ich darf ihn nicht aus seinem Fieberwahn aufschrecken, das ist mir längst klar. Er stammelt und weint, und ob seine Augen geöffnet oder geschlossen sind, macht eigentlich keinen Unterschied: Er nimmt nichts von dem, was um ihn herum vorgeht,wahr. Er ist in seinem Albtraum gefangen, er will nur rasch alles loswerden, was ihn seit so vielen Jahren beschwert – dann wird er in den Ohnmachtsschlaf zurücksinken, das sehe ich immer deutlicher voraus.
Sieben Jahre lebte er auf diese Weise. Er nahm auch an Opferzeremonien teil, das war unumgänglich – schließlich war er der Schwiegersohn des Häuptlings, der stets das beste Stück vom Opferfleisch bekam. Aber Geronimo hatte niemals Menschenfleisch gekostet – er schwört es mir, nein, seinem Bruder Carlito, unter Tränen.
Und doch fühlte er sich, als heute früh die Gardekrieger des Häuptlings zu ihm kamen, wie ein von Reue zermürbter Schwerverbrecher, den nach Jahren der Flucht die gerechte Strafe ereilt. Oder vielmehr: Der Mönch in ihm empfand es so – aber der Indianer, zu dem er doch auch geworden war, bäumte sich gegen sein Schicksal auf!
Die Gardekrieger packten ihn und zerrten ihn zu dem Käfig, in dem die Gefangenen vor der Opferung gemästet wurden. Ixnaay schrie und weinte und beschimpfte ihren Vater, Häuptling Aak-ek. Ihre beiden Kinder rannten schreiend hinter ihnen her und riefen immer wieder: »Papa! Papa! Das dürfen sie nicht mit dir tun!« Angemalte Schildkröte gab ihnen recht und spuckte den Gardekriegern ins Gesicht, doch der Mönch Geronimo schüttelte unter Tränen den Kopf und ergab sich in sein Los.
Später erschien Häuptling Aak-ek bei seinem Käfig und erklärte ihm, was geschehen war. Elf schwimmende Inseln voll bleicher Männer waren an der Küste angetrieben worden. Die Götter verlangten, dass ihnen das Herz eines Mannes geopfert würde, der so bleichhäutig wie die Eindringlinge war. Als Gegenleistung versprachen sie, einen mächtigen Schadenzauber zu schicken – einen Sturm, der alle weißen Männer mitsamt ihren schwimmenden Inseln aufs Meer zurücktreiben und dort in den Fluten versenken würde.
Häuptling Aak-ek machte keinen Versuch, seine Entscheidung zu rechtfertigen. Er hatte nicht anders handeln können, denn die Zeit drängte, und außer Geronimo war kein geeignetes Opfer zur Hand. Dass seine Haut unter dem Schildkrötenmuster so hell war wie die der bleichen Eindringlinge, würde den Göttern nicht verborgen bleiben – das behauptete jedenfalls Aak-ek, und Geronimo gab ihm recht.
Er küsste seine Frau und seine Kinder zum Abschied. Er wehrte sich nicht mehr, als sie ihn hierherbrachten, zum Opfertempel in der heiligen alten Stadt, der nur noch zu besonderen Anlässen verwendet wurde. Und das hier war zweifellos ein besonderer Anlass.
Als sie ihn auf den Opferstein legten, durchzuckte Geronimo als Letztes die Frage, was er sich eigentlich wünschte – dass der Schadenszauber gelingen und die weißen Männer mitsamt ihren schwimmenden Inseln im Meer versenken würde. Oder dass die Spanier und ihr Gott mächtiger wären als die Götzen der Maya.
Er grübelte noch immer darüber nach, als ihn der Priester mit dem Giftdorn stach und ins Reich der Fieberträume schickte. Angemalte Schildkröte wünschte sich das eine und Geronimo das andere. Aber eigentlich konnte sich auch Geronimo, der einstige Mönch, nicht frohen Herzens wünschen, dass die Spanier ihn finden und befreien würden. Die Zeichen seiner Sünde bedeckten ihn untilgbar von Kopf bis Fuß.
Als der Gerettete mit seiner Erzählung bis hierher gekommen ist, erklingt seltsamerweise eine silbrig helle Glocke. Wir beide fahren zusammen und schauen verwirrt um uns.
Aber Geronimo scheint wiederum etwas ganz anderes zu erblicken als ich. »Carlito!«, stammelt er. »Endlich daheim!«
Das verzückte Lächeln kehrt in sein Gesicht zurück. Sein Kopf sinkt zur Seite – und im nächsten Moment fällt Geronimo de Aguilar wieder in den Ohnmachtsschlaf.
- 9 -
Ich rappele mich aus dem Gras auf und schüttele meine Beine aus, die vom langen Kauern ganz taub geworden sind. Während ich Geronimo zugehört habe, sind Alvarado und Portocarrero mit ihren Suchtrupps zurückgekehrt. Offenbar haben sie keine weiteren Indianer gefunden, wie Cortés es vorausgesagt hat. Nun haben sich alle Konquistadoren um die Plattform versammelt, die unterdessen gereinigt worden ist.
Anstelle der Kruste aus blutigem Schlamm bedecken nun
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