Goldfieber
frische Zweige und Blütenblätter die Stufen und die Plattform rings um den Tempel. Neben der Fahne ragt ein gigantisches Holzkreuz in den Himmel auf, wenigstens sechzig Fuß hoch. Der Altar ist mit einem weißen Tuch verhüllt, und darauf steht die Muttergottes – eine einfache Schnitzfigur, doch ihr Lächeln ist dem Künstler so wohlgeraten, dass jeder, der diese Madonna anblickt, gleichfalls lächeln muss.
Hinter dem Altar steht ein nicht allzu groß gewachsener Mann in einer schwarzen Robe, gehüllt in eine Wolke aus Weihrauch. Also hat Cortés doch noch einen Pater herbeiholen lassen, sage ich mir und versuche zu erraten, um welchen unserer Priester es sich handelt. Er hat eine Glocke in der einen Hand und einen Weihrauchkessel in der anderen. Er schwenkt beides im gleichen feierlichen Takt, und mir wird klar, dass die heilige Messe in wenigen Augenblicken beginnen wird.
Wenn ich Cortés nur irgendwo in der Menge entdecken könnte! Ich würde mich zu ihm durchschlängeln und mich in stillem Triumph in seiner Nähe halten. Dann irgendwann, während alle andächtig der Predigt lauschen, würde sein Blick wie zufällig zu mir hinübergleiten und ich würde ihm zunicken – mit ernster, fast gleichgültiger Miene, wie er selbst es bei solchen Gelegenheiten macht. Ich würde nicht etwa grinsen, nicht mit irgendwelchen Neuigkeiten herausplatzen, ich würde meinen Mundwinkeln nicht das kleinste Zucken erlauben. Und doch würde Cortés vonmeinem Gesicht alles ablesen, was ihm in diesem Moment wichtig wäre – schließlich ist er selbst ein Meister in der Kunst, die Herzen zu ergründen.
Aber wie ich mich auch in die Höhe recke und auf meinen Zehenspitzen im Kreis drehe – ich kann ihn einfach nicht finden.
»In nomine patris et filii et spiritus sancti« , erschallt hinter mir eine wohlbekannte Stimme, volltönend und vollkommen beherrscht wie stets. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes …«
Ich fahre herum und reiße die Augen auf. Der Mann im Priesterkleid, der da oben auf der Plattform steht, hinter dem Altar von Jesus Mendoza – das ist niemand anderes als Hernán Cortés!
Er schwenkt das Weihrauchfässchen und die Silberglocke, als ob er in seinem Leben nichts anderes gemacht hätte. Dazu singt er die vorgeschriebenen Formeln, mal auf Lateinisch, dann wieder auf Spanisch, und die Konquistadoren stimmen mit lautem Chorgesang ein. Sie fallen auf die Knie, falten ihre Hände und beten. Ich tue es ihnen gleich, und dabei schaue ich unablässig nach oben – zu meinem Herrn, der mit feierlichen Schritten hinter dem Altar hervorkommt und uns mit einer kaum merklichen Handbewegung gestattet, uns wieder zu erheben.
Cortés beginnt zu predigen. Ich schaue andächtig zu ihm auf und sehe zugleich in meinen Augenwinkeln, wie aus dem Wald rings um den Platz unzählige Indianer hervorkommen. Auch die Männer um mich herum haben es bemerkt, aber niemand kommt auf die Idee, auch nur nach seinem Schwert zu tasten. Dafür ist viel zu offensichtlich, dass die Indianer nicht von feindseligem Zorn, sondern von scheuer Neugier zu uns getrieben werden. Sie verständigen sich durch Blicke, sie bewegen sich gleichsam auf Zehenspitzen, und jedes Mal, wenn die silberne Glocke läutet, bleiben sie wie versteinert stehen.
Unser Herr predigt von der Macht und Herrlichkeit Gottes, von der Barmherzigkeit Jesu und der Jungfrau Maria, und zweifellosverstehen die Indianer kein einziges Wort. Aber der Geist der christlichen Botschaft hat von ihnen Besitz ergriffen und zieht sie unwiderstehlich herbei. Der Geist unseres allmächtigen Gottes, der aus der Glocke klingt und in Cortés’ Stimme vibriert und im Lächeln der Madonna widerscheint. Die Konquistadoren bekreuzigen sich und werfen sich auf die Knie und recken die gefalteten Hände zum Himmel hoch.
Hunderte Indianer sind mittlerweile aus den Wäldern herübergekommen, und einer nach dem anderen ahmen sie, von scheuer Frömmigkeit ergriffen, die rituellen Gebärden nach. Sie fallen auf die Knie und recken die unbeholfen ineinander verknoteten Hände. Sie bekreuzigen sich, und es sieht mehr wie ein W oder Y aus, aber dazu lächeln sie und singen mit schwankenden Stimmen die Kirchenverse nach. Stabat mater dolorosa und Ave Maria , Vater unser und O Haupt voll Blut und Wunden . Tränen brennen in ihren Augen, vielleicht nur von dem Weihrauch, der in Schwaden über unseren Köpfen hängt. Vielleicht sind es aber auch Tränen der Ergriffenheit, weil sie
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