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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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voller Raubkatzenzähne. Er fauchte irgendetwas, und Geronimo verstand kein Wort, denn damals konnte er noch kein Chontal. Aber schließlich begriff er, dass der Indianer irgendwohin deutete, und als er in die gewiesene Richtung schaute, gaben seine Beine urplötzlich unter ihm nach.
    »Vor Entsetzen, vor Erleichterung, Carlito. Vor Ekel, vor Reue, vor Dankbarkeit!«, stammelt Geronimo. »Kannst du das verstehen?«
    Ich nicke, obwohl ich es nicht verstanden habe, jedenfalls noch nicht ganz. »Du wurdest nicht geopfert«, sage ich, denn das zumindest steht ja fest.
    Er schüttelt den Kopf. Seine Augen sind weit geöffnet, doch sein Blick geht durch mich hindurch.
    Der Priester deutete auf eine Pyramide aus Köpfen, die sie auf der Steinpyramide aufgeschichtet hatten. Ohne richtig zu bemerken, was er da machte, hatte Geronimo sofort zu zählen begonnen – sechs, sieben, acht! Es waren acht Köpfe, die sie abgehackt und sorgsam übereinandergestapelt hatten – vier, danndrei, obendrauf einen einzelnen Kopf, der Geronimo in starrem Entsetzen ansah.
    »Ich gehörte zu denen, die weiterleben durften«, keucht mir Geronimo in rasendem Redestrom ins Ohr. »Sie brachten uns zurück in die Käfige, um uns zu mästen, bis der Götze weitere Opfer fordern würde. Aber die Todesangst und die Wut über die Gräuel, die wir miterleben mussten, verliehen mir und meinen drei verbliebenen Gefährten neue Kräfte. In der nächsten Nacht gelang es uns, die Käfige aufzubrechen und unbemerkt zu entkommen. Wir stahlen ein Kanu und flohen die Küste entlang nach Norden. Drei Tage lang wagten wir uns nicht an Land, doch brennender Durst zwang uns schließlich, eine Bucht anzusteuern. Dort wurden wir erneut von Indianern überwältigt.«
    Er schließt die Augen und schweigt so unvermittelt, dass ich schon glaube, er wäre wieder eingeschlafen. Aber nach ein paar Atemzügen spricht Geronimo weiter.
- 8 -
    Seine drei Gefährten wurden noch am selben Tag auf dem Opferstein hingeschlachtet. Für Geronimo aber, den andalusischen Minoritenmönch, bat ein junges Indianermädchen um Gnade. Sie hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt, und weil sie eine Tochter des Häuptlings Aak-ek war, setzte sie ihren Willen durch.
    Sie hieß Ixnaay, Träumerin. Der Häuptling stellte nur eine Bedingung: Geronimo müsse sich von Kopf bis Fuß tätowieren lassen, denn mit einem so gespensterbleichen Mann würde seine Tochter vom ganzen Dorf verhöhnt werden. Häuptling Aak-ek zu Ehren, dessen Name »Schwarze Schildkröte« bedeutet, entschied sich Geronimo für ein Muster wie auf Schildkrötenhaut. Er selbst erhielt den Maya-Namen Angemalte Schildkröte, und nur ein paar Tage später wurden er und Ixnaay von den Götzenpriestern feierlich zu Mann und Frau erklärt.
    Als Geronimo de Aguilar seine Augen abermals öffnet, schwimmen sie in Tränen. »Verzeih mir, Carlito, ich flehe dich an!«, presst er hervor. »Aber was verlange ich da von dir, mein kleiner Bruder! Ich habe unermessliche Schuld auf mich geladen!«
    Ich schaue ihn an und schüttele nur wortlos meinen Kopf, damit er aufhört, sich selbst zu beschuldigen – aber zu meinem Schrecken versteht er mich ganz und gar falsch.
    »Du hast recht, Carlito«, flüstert er. »Natürlich hast du recht, ich selbst weiß es ja längst! Ich habe dem Teufel meine Seele verschachert, nur um noch ein paar Jahre weiterleben zu dürfen! Diese Sünde ist unverzeihlich!«
    Erneut fallen seine Augen zu, und abermals spricht er kurz darauf weiter, stammelnd und sich überstürzend wie im Fieberwahn.
    Er war ein Mönch und hatte sein Leben der Lehre Jesu Christi geweiht. Niemals vorher hatte er ein Mädchen geliebt oder auch nur geküsst – und nun war er nach indianischem Brauch mit Ixnaay vermählt! Er verliebte sich rettungslos in sie. Er lernte, das Wild in den Wäldern zu jagen und mit den Kriegern des Dorfes in den Kampf zu ziehen. Ixnaay gebar ihm eine Tochter, im Jahr darauf einen Sohn. Sein früheres Leben verblasste. Manchmal vergaß er tage- oder wochenlang, dass er einmal ein weißer Mann gewesen war, ein Minoritenmönch aus Ronda, der auf dem Weg nach Jamaika verschollen war. Nur manchmal nachts fuhr er noch aus grässlichen Träumen auf – Träumen voller Höllenqualen und Teufelsgelächter, weil er seine Seele verkauft hatte, im Tausch gegen dieses zweite Leben als falscher Indianer namens Angemalte Schildkröte.
    Geronimo presst meine Hände so fest, dass ich mit den Zähnen knirsche, um nicht zu

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