Goldfieber
Sklaven herbeizuholen, die den Pfad von der Landestelle bis zum Lager mit Ästen und Zweigen aus dem Unterholz auslegen sollen. Rumpelnd und rasselnd rollen gegen vier Uhr früh alle drei Feldschlangen hintereinander auf ihren klobigen Rädern den Pfad entlang. Es hört sich an wie Donnergrollen und der Boden unter meinen Füßen erzittert.
»Wenn sie das mitkriegen«, behauptet Diego, »hauen sie noch schneller ab!«
Plötzlich taucht Sandoval neben uns auf und gibt Diego einen freundschaftlichen Stüber. »Die hauen nicht ab, Jungs«, sagt er leise lachend. »Die bringen nur ihre Frauen und Kinder in Sicherheit – und gleichzeitig verlegen sie Krieger aus den umliegenden Dörfern in die Stadt.«
Diego reißt die Augen auf. »Woher wisst Ihr das, Don Gonzalo, wenn Ihr die Frage erlaubt?«, murmelt er ehrerbietig.
Sandoval schiebt sich zwischen Diego und mich und legt uns jedem einen Arm um die Schultern. Dass sich der »Tollkühne« dazu herablässt, uns Pagen etwas zu erklären, kommt höchst selten vor. Mein Herz jubelt ihm entgegen, und im Schein des Mondes, der über dem Fluss zwischen rabenschwarzen Regenwolken hervoräugt, sieht Diegos Gesicht beinahe schreckensstarr aus. Aber das kommt nur von seiner Angst, sich vor unserem verehrten Vorbild durch irgendwelches blödes Gestammel zu blamieren. Auch mich versetzt Sandovals Gegenwart immer in ungeheure Spannung und Diego bewundert ihn noch viel maßloser als ich.
»Ganz einfach, Jungs«, sagt Sandoval und hat immer noch dieses Strahlen im Gesicht. »Der Herrscher von Potonchan hat zehn- oder vielleicht sogar zwanzigmal mehr Männer unter Waffen als wir. Warum also sollte er seine Stadt kampflos aufgeben?«
Diego wirft mir einen ratlosen Blick zu. Er wirkt verunsichert und verwirrt, und ich kann mir leicht denken, was ihn so durcheinanderbringt. »Weil der Allmächtige mit uns ist«, sagt er schließlich, »und mit den Wilden nur der Teufel!« Er stößt es in empörtem Tonfall hervor und erschrickt im nächsten Moment über sich selbst. »Verzeiht, Don Gonzalo«, murmelt er und beißt sich auf die Unterlippe, während sich seine Wangen vor Verlegenheit röten.
Sandovals Lächeln wirkt nun ein wenig spöttisch. Er umfasst uns fester bei den Schultern und schüttelt uns ein wenig hin und her. »Warten wir’s ab«, sagt er dann aber nur, »nachher werden wir bestimmt schon etwas klarer sehen.« Er lässt Diegos und meine Schultern wieder los und wendet sich halb zu Alvarado um, der ihm vom Pfad her Zeichen macht.
»Was werden wir sehen?«, frage ich.
Sandoval dreht seinen Kopf noch einmal zu uns zurück. »Ich bin kein Priester, Orteguilla«, sagt er, und ich spüre, dass ihm unser Gespräch unbehaglich wird. »Aber eines weiß ich«, fügt erhinzu. »Der Teufel kann nur Trugbilder erzeugen und durch seine Dämonen kurzzeitig Verwirrung stiften. Und ich bin ziemlich sicher, dass die Stadt da drüben keine Spukerscheinung, sondern aus soliden Steinen ungemein kunstvoll erbaut worden ist.«
Diego und ich starren uns an. Wir beide überlegen verzweifelt, wie Sandoval diese Worte gemeint hat und was wir darauf antworten sollen. Doch währenddessen eilt der »Tollkühne« bereits die sandige Böschung zu dem Pfad empor, wo Alvarado auf ihn wartet.
»Er wollte doch bestimmt nicht andeuten«, murmele ich, »dass Gott der Herr auch den Indianern beisteht – genauso wie uns? Oder was glaubst du, Diego?«
Aber Diego hat alle Verwirrung längst wieder tief in seinem Herzen begraben. »Natürlich nicht!«, sagt er. »Wir müssen ihn irgendwie falsch verstanden haben. Und jetzt will ich noch ein paar Stunden schlafen – bevor es da drüben losgeht.«
- 4 -
Als wir in unsere Boote steigen und zur Indianerstadt übersetzen, geht die Sonne gerade erst auf. Die Luft ist noch kühl, aber so feucht, dass ich trotzdem bei der kleinsten Bewegung ins Schwitzen komme. Graue Wolken treiben durch den Himmel – in der Morgendämmerung ist ein weiterer Sturzregen niedergegangen. Unsere Hütten haben auch dieser Flut getrotzt, doch das Prasseln der Tropfen und das unaufhörliche Dröhnen der Trommeln haben mich wach gehalten. Dabei war ich so müde, dass um mich herum alles zu schwanken schien, als ich endlich in meiner Hängematte lag.
Diego schlief natürlich auf der Stelle ein, und vorhin hatte ich Mühe, ihn überhaupt wieder wach zu bekommen. »Geh allein, Orte«, murmelte er schlaftrunken, »lass mich in Ruhe!« Doch nur einen Wimpernschlag später war er hellwach und
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